Die deutschen Kurorte und ihre natürlichen Heilmittel

Therapie mit Ortsspezifika

Dr. med. Bernd Hartmann

Mineral-Thermal-Heil-Wässer, Heilgase, Peloide wie Moor-Torf und Fango und das Heilklima, an der See kombiniert als Thalassotherapie, sind ortsgebundene Heilmittel. Diese Ortsspezifika wirken per se heilend, lindernd/palliativ oder vorbeugend/präventiv, was nach wissenschaftlicher Bestätigung die staatliche Anerkennung zertifiziert. Die medizinischen und umwelthygienischen Standards sind in den „Begriffsbestimmungen – Qualitätsstandards zur Prädikatisierung“, den kurortwissenschaftlichen Normen, fixiert. Diese physikalisch und chemisch definierten und damit dosierbaren Heilmittel sind Grundlage der Kur (= Heilbehandlung) von definierten Krankheiten und Funktionsstörungen, sie bessern auch die psycho-somatische Funktion und Kondition. Die Kur nützt diese physiologischen Faktoren zur komplexen Therapie. Richtig durchgeführt, qualifiziert, rational, strukturiert entspricht die therapeutische Wirksamkeit („Evidenz“) mindestens den Kritereien, die an jede Intervention (Pharmako-, Psycho- und invasive Therapie) zu stellen ist. Die kurörtliche Kur nützt beweisbar und über den Plazebo-Effekt hinaus, Patienten, Klienten, Gästen, sie ist volkswirtschaftlich- gesundheitsökonomisch (benefit: Nutzen/Kosten+Risiken und negative Nebenwirkungen ) sinnvoll.

1. Das Prinzip Medizinische Kur

Die Medizinische Kur ist – im Gegensatz zur unspezifischen Erholung – indikationsspezifische Differentialtherapie vor allem chronifizierter Erkrankungen – als komplexe Rehabilitation, Prävention und Kuration. Orts- und Milieuwechsel sowie die temporäre Änderung der „Lebens-Ordnung“ unspezifische, zusätzliche Stimuli, die umfassende bio-psycho-soziale Reaktionen bewirken. Richtig indiziert und realisiert, ist sie „comprehensive“ im Sinne von „public health“.
 
Grundlage ist das Ortsspezifikum, dessen therapeutische Wirksamkeit nachgewiesen sein muss, sowie v. a. stimulierende und entspannende Physikalische Therapie, Diät, Entspannung und Psychotherapie.
 
Zusätzlich wirkt die qualitätszertifizierte Umwelt in Heilbad und Heilklima positiv, was auch der reinen Erholung dient. Alle hochqualifizierten Kurorte – auch die Heilklimatischen und Seeheilbäder – haben immer Bewegungsbäder, die der DIN-Norm 19643 entsprechend aufbereitet sind. Mineralheilbäder nutzen das Heilwasser in ursprünglicher Form als interaktives Vollund/ oder Teilbad.
 
Muskel-trainierende/-übende Verfahren sind traditionell Teil der Kur; die Medizinische Trainingstherapie MTT/ gerätegestützte Physiotherapie gehört seit Zander, dessen Mechanotherapie vor allem in Heilbädern etabliert war, zur Kur wie auch die dosierte Bewegung im Heilklima als „Terrainkur“ nach Oertel bzw. dem Freiburger Internisten W. J. A. Werber (1862). Psychotherapie ist seit langem integraler Teil der Kurortmedizin, inauguriert von G. Groddeck, Diätetik einsschließlich der Trinkkur, war in der Vergangenheit wichtiger Teil der Medizinischen Kur. Diese chronomedizinisch richtig dosierten komplexen Faktoren („Wirkakkord“) wirken synergistisch und mit einem nachhaltigen Langzeiteffekt, wenn ausreichend lange therapiert wird.
 
Pharmaka gehören zur Medizinischen Kur, sind allerdings nie Grund- oder ihr Hauptwirkfaktor; dasselbe gilt für die invasive Therapie, die aber Voraussetzung für die Durchführung einer Medizinischen Kur wie einem postoperativen „Anschlussheilverfahren“ sein kann. Die Klinische Rehabilitation verwendet prinzipiell das Wort Heilbehandlung und marginalisiert oft die Klima- und Balneotherapeutika, worüber V. R. Ott sich so äußert: „Die Ausgrenzung der Ortsspezifika in der Rehabilitation stellt Kurmittel und Kurort insgesamt in Frage“. Ein Verzicht auf das Ortsspezifikum bedeutet oft, die therapeutischen Ressourcen nicht voll auszuschöpfen.
 
Auch im Heilbad ist die natürliche Umwelt qualitätszertifiziert, das Heilklima (Wetter/Witterung) als Ortsspezifikum hat nach den Normen zu heilen, zu lindern oder vorzubeugen.
Kur (synonym mit Heilbehandlung): indizierte, strukturierte und stringent dosierte Therapie speziell mit Ortsspezifika ambulant, poliklinisch und klinisch zur Rehabilitation, Kuration und (Sekundär- sowie Primär-) Prävention.

2. Physiologie und Pathophysiologie der Medizinischen Kur

Ziel ist Regeneration/Rekonditionierung durch Adaptation/ Akkomodation an Stimuli, also Training aller Körperfunktionssysteme.
 
2.1 Generelle Anpassung an äußere Stimuli
Seriell-iterative und differenziert applizierte externe Stimuli bessern oder normalisieren funktionelle Störungen (Rouxsche oder, Arndt-Schulzsche Regel, modifiziert durch Selye als Stress). Diese chronotherapeutisch dosierten, normalisierenden Stimuli mit entsprechenden Erholungsphasen steigern – analog der Muskel-Aktivierung – über eine „trainierende“ Anpassung Leistungskapazitäten, die über das Kurende hinaus andauern: labile, gestörte und erkrankte Regulationssysteme werden durch Adaptation/Habituation „unspezifisch“ gebessert, zusätzlich zu den durch spezifische Faktoren/Stimuli verursachten, quasi-pharmakologischen Therapieeffekten, die den Kriterien der „evidence based medicine“ ensprechen.

2.2. Mineral-Thermal-Wasser
Temperatur, Wasserdruck, Auftrieb, Viskosität wirken physikalisch, die Inhaltsstoffe chemisch und damit pharmakologisch; Dosierungskriterien sind Fläche, Dauer, Intervall der Applikation und die Kombination mit anderen Stimuli. Diese Kriterien sind den spezialisierten Kurärzten bekannt, die dies im Kurplan berücksichtigen.
 
2.2.1. Wannenvoll- und -teilbad: (Interaktive) Aquale Immersion
Die Weltraummedizin simuliert mit dem Bad, „head-outwater-immersion“ die Schwerelosigkeit (heureka), und ihr verdanken wir die gültigen Erkenntnisse einschließlich der Temperaturwirkungen und der wesentlichen Thermoneutralität, also 34,5 °C (± 0,5 °C), bei der unter Ruhebedingungen weder Wärme zu- noch abgeführt wird.

2.2.1.1. Wannenbad (thermoneutrales Vollbad)
Im Vollbad, der klassischen Applikation der Bade-Kur, wirken Hydrostatischer Druck und Auftrieb sowie Wassertemperatur und Auftrieb (microgravity) sowie Temperatur und die Wasserinhaltsstoffe.
 
Die Zeit-Dosis ist zu hinterfragen; die übliche Applikation von 20 Minuten ist zu kurz, da „evidente Daten“ ab einer Immersionszeit von 30 Minuten gewonnen wurde; die meisten validen Daten wurden bei einstündiger Immersion mit geeigneter Flüssigkeitszufuhr gewonnen.
 
Die venöse Hämodynamik wird unmittelbar verbessert wie auch die Mikrozirkulation mit Verschiebung von Gewebsflüssigkeit in die Gefäße, was die Blutfließeigenschaften verbessert. Über eine zentripetale Blutumverteilung aus dem Niederdrucksystem der Extremitäten und des Abdomens von 700 ml Blut werden Vegetativum/Neuroendokrinium beeinflusst: durch Reduktion der Ausschüttung von Antidiuretischem Hormon/ Arginin-Vasopressin aus der Hirnanhangsdrüse, Auschüttung des atrialen natriuretischen Peptides „Bremsung“ des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems, Senkung der Stresshormone/Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin.

Hormonell vermittelt, nimmt der periphere arterioläre Widerstand um 30 % ab und so steigt die Durchblutung um 30 %. Die Sauerstoffaufnahme bleibt unverändert bedingt durch Hochdrängen des Zwerchfells einerseits und eine Umverteilung von Lungendurchblutung und -belüftung/ Verbesserung der Distribution. Der arterielle Blutdruck nimmt leicht ab; über die Herzfrequenz sind die Angaben widersprüchlich, da Atemschutzreflex/“Tauchreflex“ vs. Bainbridge-Reflex konträr sind.
 
Die „preload“-Erhöhung führt zur absoluten Kontraindikation des Vollbades ab Herzinsuffizienz-NYHA-Stadium III. Halbbäder können aber auch bei schwerer Herzinsuffizienz therapeutisch sinnvoll eingesetzt werden; Atemsinsuffizienz, in den älteren Lehrbüchern eine Kontraindikation, ist aufgrund gültiger Untersuchungen immer indiziert, da die Atemmuskulatur im Bad trainiert wird und die arterielle Sauerstoffaufnahme bei allen Atemwegserkrankungen verbessert wird.
 
Dass jede venöse Insuffizienz gebessert wird, ist evident und plausibel, da der Druck jedes Kompressionsstrumpfes und -verbandes übertroffen wird. Der Auftrieb (Archimedische Antigravitation) entspannt zusätzlich das Vegetativum und die Muskulatur, reduziert Muskelspasmen, inhibiert Dehnungsreflexe, lockert das Bindegewebe, beseitigt nicht-entzündlich bedingte Schmerzen; diese analgetische Wirkung ohne zusätzlichen thermischen Stimulus ist zu wenig bekannt. Iterativ als Kur appliziert wird damit die Wirbelsäulen- als auch die Extremitätenbeweglichkeit verbessert.
 
2.2.1.2. Chemische Effekte der Wasserinhaltsstoffe (Mineralien, Gase)
Bei perkutaner Applikation wirken Sole, Jod, Schwefel, Radon und Kohlendioxid (letztere sind Heilgase). Andere Mineralien haben nach gültiger Erkenntnis keine chemische Wirksamkeit. Kohlendioxid/„Kohlensäure“, Radon und reduzierter Schwefel wirken mit Dosis-Wirkungskurven einschließlich Toxizität und Letalität bei Überdosierung.
 
Sole (mindestens 1,4 % NaCl/Na: 5.5g, Cl: 8.5g) verstärkt den Auftrieb, in Konzentrationen von 2-6 % verliert die Haut Flüssigkeit und destabilisiert die Korneozyten der Hornschicht mit erfolgreicher Abschuppung. Die Einlagerung von Salzkristallen bei gleichzeitiger Elution macht die Hornschicht transparenter, so wird die Haut konditioniert für eine anschließende Ultraviolett-Therapie z. B. der Psoriasis vulgaris. Die verringerte evaporative Wärmeabgabe führt zur Indikation „Erkrankungen des Muskulo-Skeletal-Systems“, wozu kontrollierte Studien dringend notwendig sind.
 
Jod verbessert die arterielle und mikrozirkulatorische Hautdurchblutung und senkt den arteriellen Blut(hoch)druck. Kontrollierte Studien existieren bisher erst im Ansatz, was auch für Jodsole gilt. Die klinische Überprüfung theoretisch rationaler Therapieansätze steht bisher aus.
 
Reduzierter Schwefel im Wasser, aber auch als Gas („Solfatare“: natürliche terrestrische Gasexhalation) wirkt ab einer Konzentration von 4 mg H2S/kg Wasser; – deklarationsfähig sind Konzentrationen ab 1 mg Sulfidschwefel/ l. H2S erweitert dosisabhängig die Hautgefäße, verstärkt die Vasomotion und beeinflusst die (subjektive) Thermoindifferenz; außerdem moduliert H2S das Immunsystem über eine reversible Suppression der „Langerhans-Zellen“ der Haut; außerdem zerstört H2S freie Sauerstoffradikale, eine bedeutsame Wirkung, die der weiteren Abklärung bedarf. Bewährt sind Schwefelwasserstoffbäder bei „rheumatischen“ Erkrankungen des Muskulo-Skeletal-Systems im chronischen und subakuten Stadium. Antiparasitär und dermatotherapeutisch werden Schwefelwässer verwendet bei chronischen Ekzemen, Psoriasis, Neurodermitis und seborrhoischer Dermatitis.
 
Oxidierter Schwefel (SO4) wird nur in Kombination mit Kohlendioxid perkutan inkorporiert und in den Gelenkknorpel eingebaut, wie die Arbeitsgruppe des Nobelpreisträgers und „Inaugurator der Nuklearmedizin“ G. v. Hevesy in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts festgestellt hat. Die klinische Bedeutung dieses Befundes wurde nie überprüft.
 
Radon als lipoidlösliches Edelgas wirkt analgetisch und antiphlogistisch über eine Stimulation der Nebennierenrinde; bei serieller Applikation in kontrollierten Studien ist es der (aktiven) Bewegungstherapie überlegen bei den Indikationen Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew) und rheumatoider Arthritis. Somatisch ist es als Allpha-Strahler unbedenklich, seine genetische potenzielle Gefährdung wird zur Zeit sehr emotional und polemisch geführt. Sein „benefit“ dürfte aber (Daten der Jahre 2000-2003) sowohl bezüglich Risko-Nutzen im Vergleich mit allen anderen Therapieverfahren als auch gesundheitsökonomisch hervorragend sein.
 
Perkutan appliziertes Kohlendioxid („Kohlensäure“) ist der am intensivsten untersuchte, gleichzeitig häufigste gasförmige Wasserinhaltsstoff, der auch als Gas („Mofette“) vorkommt. Es wirkt ab einer Konzentration von 400 mg/l. Als Stoffwechselendprodukt ubiquitär im Körper, beeinflusst Kohlendioxid bei perkutaner Applikation die Hautthermorezeptoren mit Stimulation der Warmund Suppression der Kaltrezeptoren, dilatiert präkapilläre Arteriolen, eröffnet funktionell verschlossene Kapillaren, senkt die Blutviskosität und erhöht den Gewebs- Sauerstoffpartialdruck durch Rechtsverschiebung der Sauerstoff-Dissoziationskurve (Bohr-Effekt) bei gleichzeitiger Homogenisierung der Lungenfunktion (verbesserte Distribution im Verhältnis von Ventilation zur Perfusion) und gleichzeitigem Anstieg des Atemvolumens: der arterielle Sauerstoffpartialdruck nimmt zu. Während all dies experimentell und klinisch kontrolliert bewiesen ist, eine Venentonus-Erhöhung ist theoretisch plausibel und klinisch nachgewiesen.
 
Wärmeentziehende, kühle Kohlensäurebäder von 32-30 °C wurden in der Vorphase der therapeutisch wirksamen invasiven Intervention oder Pharmakotherapie bei Herzinsuffizienz und Koronarer Herzkrankheit leichteren bis mittleren Grades pathophysiologisch begründbar appliziert und in klinischen Studien kontrolliert.
 
Kohlendioxid als klassisches „Kreislaufpharmakon“ ist indiziert bei den Indikationen, für die alle kontrollierte klinische Studien nach dem Standard der „evidence based medicine“ existieren, die kontrovers diskutierten Indikationen beruhen auf Empirie ohne diesen Qualitätsstandard. Kohlendioxid ist eines der wenigen Balneotherapeutika, die zur Zeit als Heilmittel generell anerkannt sind!
 
Akratothermen (< 1000 mg Mineralien/l, Temperatur > 20 °C) und Akratopegen (< 1000 mg Elekrolyte/l, Temperatur < 20 °C) sind in ihrer Wirkung als die klassischen Wildwässer empirisch bewährt bei chronischen „rheumatischen“ Erkrankungen des Muskulo-Skeletal- Systems, aber auch hier fehlen – die zugegebenermaßen schwierigen – klinischen Studien. Hier ist zu erwähnen, dass Normen der Europäischen Union diese Grenze unterminieren und wenig mineralisierte (oligo) Wässer als Mineral- und juristisch unangreifbar, aber sachlich völlig falsch sogar als Thermalwasser deklarieren.
 
Peloide als Moor-(Torf-)breibäder und Fango sowie Schlick wirken über eine Hitze-„counter irritation“ und ihren gleichmäßigen konduktiven Wärmeübergang an minderdurchbluteter Haut mit steilerem körperwärtigem Gradienten. Der konvektive Wärmetransport wird dadurch unterbunden, dass die Moleküle fixiert sind. Moor aus unterschiedlichen Torfstichen unterscheidet sich chemisch. Huminsäuren als Bestandteile des Moor-Torfs vermögen die Haut zu permeieren; experimentell wirken sie immunstimulierend und werden zur Zeit bei Immunschwäche erprobt, was die empirisch bewährten Wirkungen teilweise erklären könnte.
 
Peloide in stärkerer Konsistenz werden bei chronifizierten Erkrankungen der Haltungs- und Bewegungsorgane vor allem zur Wärmezufuhr, in akuten Stadien vor allem wärmeentziehend, also als Kälte, appliziert.
 
Keimhemmende, entzündungshemmende, adstringierende, zellstimulierende und hormonale Effekte sind experimentell nachgewiesen. Klinische Studien – mit Ausnahme intravaginaler und enteraler Applikation, die bewiesen sind –, zur postulierten pharmakologischen Wirkung fehlen.
 
2.2.1.3. Bewegungsbad („aquale Ergometrie“)
Bewegungsbäder haben mikrobiologisch Trinkwasserqualität bei Transparenz mit Temperaturen – technisch modifiziert – nahe der Thermoneutralität bzw. Thermoindifferenz. In den USA gilt inzwischen, dass Bewegungsbäder eine Mindesttemperatur von 32 °C haben müssen.
 
Die Faktoren Wasserdruck – 135 cm Wassersäule sind 100 mm Hg –, Antigravitation – > 90 % Gewichtsverlust- und Viskosität/Kohärenz – 800 x größer als Luft haben Zusatzwirkungen bei körperlichem Training/ Übung im Medium. Solen und andere Mineralien erhöhen zusätzlich den Auftrieb. Dies bessert im Bewegungsbad die Gelenkbeweglichkeit der Extremitäten und der Wirbelsäule; daraus ergeben sich die Indikationen bei Erkrankungen des Muskulo-Skeletal-Systems, da gleichzeitig ein intensiveres und effektiveres Muskel- und damit Kreislaufdauerleistungs-Training bei gleichzeitiger Schonung der schwerkraftbelasteten Strukturen, vor allem der unteren Extremitäten und der LWS möglich ist.
 
Richtig appliziert, kann schmerzlos trainiert werden, was an Land in der Regel nicht oder nur mit Simulation der Schwerelosigkeit im Schlingentisch erreichbar ist. Neueste Untersuchungen beweisen, dass ein Krafttraining im Wasser ohne und mit zusätzlichen Geräten erfolgreich durchgeführt werden kann. Spezieller Techniken wie Mc- Millan-Halliwick, Bad Ragaz Ring-, Freiburg-Auftriebsund Krafft-Auftriebs-Therapie werden wegen der richtigen Wassertemperatur sinnvollerweise im Thermal-Bewegungsbad durchgeführt
 
Aqua-Training wird zunehmend attraktiv: Aqua-Jogging respektive Aqua-Fitness basieren auf der Balneologie Zentraleuropas.
 
Bei neurologischen Erkrankungen werden die Faktoren ebenfalls Entlastung therapeutisch genutzt, vor allem empirisch, bisher erst in Ansätzen wissenschaftlich evaluiert und „klinisch“ kontrolliert, was auch für die Landkonkurrenz wie Bobath und Kabath gilt.
 
AquaTraining ist also intensives Muskel- und Kreislauftraining und wirksamer als ein „Terratraining“ an Land – bei Entlastung des Skeletal-Systems und neuronaler Entspannung.
 
Daraus ergibt sich die Indikation Gehbehinderung. Speziell bei Multimorbidität kann die aktive Bewegung mit interaktiver aqualer Stimulation differentialtherapeutisch eingesetzt werden. Dies gilt gleichermaßen für Sturzgefährdung Betagter; selbige können in der Regel an Land wegen Unsicherheit und Schwindel nur in Aufhängevorrichtungen trainieren: das Wasser schützt vor Stürzen und ist damit – auch für Nichtschwimmer – geeignet, bewiesen in kontrollierten klinischen Studien.
 
AquaGeräteTraining zur Therapie und Konditionierung: Inzwischen existiert eine Vielzahl von (Unter-)Wassergeräten aus dem Fitness- und Medizinischen Trainingsbereich wie Laufbänder, Rudergeräten, Steppern, Kraftmaschinen etc pp., die international evaluiert werden.

3. Heilwasser-Trinkkur

Die Trinkkur führt zur Hydratation und Supplementierung von Mineralien (Versand-Heilwässer sind gesetzliche Arzneimittel mit vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte festgelegter Mindestkonzentration und Indikation; Mineralwässer dagegen sind Lebensmittel). Die kurmäßige Applikation kann aber auch außerhalb von Heilbädern erfolgen. So kann beispielsweise Magnesium oder Kalzium supplementiert werden. Sulfatreiche Heilwässer laxieren bei Obstipation und wirken choleretisch. Hydrogenkarbonat (mehr als 1200 mg/l) als Schutzfaktor der Magen- und Dünndarmschleimhaut wirkt offenbar besser als „schleimhautprotektive Pharmaka“. Ob Helicobacter pylori durch die Trinkkur beeinflussbar ist, wurde bisher nicht überprüft.
 
Natrium in hoher Dosierung verbessert die Blutfließeigenschaften, führt aber gleichzeitig bei salzsensitiven arteriellen Hypertonikern zum Blutdruckanstieg; natriumchloridreiche Heilwässer sind also bei diesen Hypertonikern obsolet. Dabei werden aber oft die Relationen vergessen: So wird auch bei der Zufuhr eines Liters eines natriumchloridreichen Heilwassers mit 100 mg NaCl/l mit einem Liter also lediglich 0,1 g Natriumchlorid zugeführt. Die aktuelle Diskussion verdeutlicht also, welche Begriffsverwirrung im Bereich der peroralen Ingestion von Heilwässern/Mineralwässern/Tafelwässern/ Leitungswässern herrscht.

4. Hydrotherapie

Hydrotherapie wird nicht mit Heilwasser, sondern mit Leitungs- oder Brunnenwasser durchgeführt. Kneippheilbäder und Kneippkurorte entsprechen in ihren klimatischen und lufthygienischen Verhältnissen Luftkurorten bzw. Heilklimatischen Kurorten.
 
Die Hydrotherapie als „Wasserbehandlung“ ist weitgehend Thermotherapie (also keine Immersion) zur Wärmezufuhr oder -abkühlung. Die Temperatur beeinflusst die Gewebsbiodynamik (kollagenes Bindegewebe, Synovia-Viskosität), die Metabolik (Biochemische Reaktionen, Diffusion, Phagozytose), Neurophysiologie (lokaler vegetativer Tonus, Perzeption), lokale, regionale und Gesamt-Zirkulation. Immediat reagiert die physikalische Wärmeregulation bei perkutaner Thermotherapie über Kreislaufreaktionen der Haut. Reaktiv folgt auf „Kaltreize“ eine Hyperämie zur Wiedererwärmung der Gewebe und Organe. Wird allerdings intensiv und längerfristig gekühlt, kommt es zur lokalen Stoffwechselreduktion. Lokale Erwärmung stimuliert den Stoffwechsel.
 
Hydrotherapie, in der Regel mit Leitungs- oder Oberflächenwässer durchgeführt, wird kurmäßig in Kneippheilbädern bzw. Kneippkurorten angewandt als stärkste Säule dieser Therapieform. Sie ergänzt aber auch die Therapie in Mineral- und Moorheilbädern.
 
4.1. Akutwirkungen
Lokale wärmeentziehende Applikationen wirken vasokonstriktiv; Gewebsstoffwechsel, Exsudation und Schmerz nehmen ab.
 
Lokale Wärmezufuhr führt zur Vasodilation, Steigerung des (lokalen) Stoffwechsels, Reduktion des Muskeltonus und Erhöhung der Schmerzschwelle. Wärmezufuhr ist deshalb vielfach auch bei chronischen „rheumatischen“ Erkrankungen und Muskelverspannungen (hier wirksamer „head-out-water-immersion“).
 
4.2. Kurmäßige Langzeitwirkungen Wärmeentziehende Maßnahmen („Kälte“)
Iterativ, also kurmäßig appliziert, werden vor allem Zirkulation, Metabolik und Vegetativum beeinflusst, im positiven Trainings-Sinn gebessert, ohne das Muskulo-Skeletal-System zu beanspruchen. Deswegen sind diese Stimuli bei den Patienten indiziert, für die ein Muskeltraining unmöglich oder nur schwer durchführbar ist. Wiederholter Wärmeentzug („Kaltreize“) nach den allgemein gültigen Rouxschen Regeln appliziert, bessern in chronomedizinisch-phasisch gegliederter Adaption funktioneller Störungen, speziell Hypotonie und Orthostase, steigern den Stoffwechsel und wirken gleichzeitig „roborierend“, vielfach auch bei „Zivilisationskrankheiten“ mit Funktionsverlust, nicht nur durch Bewegungsmangel, sondern auch durch fehlendes Thermoregulations-“Training“ im heutigen Zivilisationsmilieu.

Wärme
Diese Stimuli sind nur in ihrer intensiven Form, speziell heterothermal als Sauna, Dampfbad und Überwärmungsbad wirksam. Sie sollten nach ausreichender Habituation also immer mit Kaltapplikationen verknüpft werden.
Wärme lockert das Bindegewebe und lindert also Schmerzen. Aufgrund theoretischer und (patho-)physiologischer Evidenz sind auch hier weitere klinische Studien sinnvoll und notwendig.
 
Generell
Repetitive Applikationen dieser Stimuli als Medizinische Kur verbessern kybernetisch Regulationssysteme des Vegetativums und der Zirkulation ohne mechanische Belastung des Muskulo-Skeletal-Systems, im Gegensatz zum Muskeltraining an Land. Kurmäßig werden die Reize intensiviert und führen zu Adaptaten, die phasisch-chronologisch ablaufen und nach ca. 3-4 Wochen bei richtiger Indikation in eine Normalisierung münden. Bei der aktuellen vordergründigen Diskussion um Kostensenkung im Gesundheitswesen mit regelhafter Beschränkung der Kurdauer werden diese pathophysiologischen Grundsätze der Adaptationsphysiologie nicht berücksichtigt. Vor allem Hypertonie, Orthostase und längere Bettlägerigkeit sind nach gültigen Kriterien der Medizin evaluierte Indikationen.

5. Inhalationen und Spülungen

Kochsalz und/oder Calcium- und Hydrogencarbonatwässer werden zu Spülungen, zum Gurgeln und zur Inhalation für Mund, Nase, Rachen und die gesamten Luftwege verwendet. Natrium-Chlorid-Wässer (0,3-0,9 %) mit einer Teilchengröße zwischen 10 und 25 μ für die oberen Luftwege und schwächer konzentrierte Solen (einschließlich Jodsolen) bis 3 % mit einer Aerosolteilchengröße bis 3 μ für die tieferen Luftwegsabschnitte werden zur Inhalation. Modifiziert durch Aerosolgröße, Temperatur, Konzentration, ionale Zusammensetzung und Applikationsdauer wird die Sekretion gesteigert und Schleim gelöst. Expektoration und Hustenreizreduktion sind klinisch bewiesen; allerdings ist der Bronchialwiderstand erst nach Inhalation reduziert. Der Nachweis der Spezifität ist aber bisher nicht eindeutig, da während der Kur immer gleichzeitig andere Verfahren der aktiven und interaktiven Physiotherapie, d. h. physikalische „Bronchotherapie“, durchgeführt werden.

6. Klimatherapie

Jeder Aufenthalt in einem Kurort, besser Heilbad und Heilklima, bedeutet längere und häufigere Freiluftaufenthalte („outdoor“) im staatlich anerkannten, qualitätszertifizierten Heilbad oder Heilklima ohne Luftverunreinigung, was die Atmung enlastet und ein wesentlicher Aspekt der Klimatherapie ist. Akklimatisation ist das morphologische Adaptat (kurzfristig Adaptation respektive mittelfristig Akkommodation) an den Dauer-Stimulus. Das europäische Mittelgebirgsklima mit der Filterfunktion der Wälder (einschließlich xenobiotisches Ozon) und unterschiedlichen Strahlungs- und Luftbedingungen kann einerseits gezielt therapeutisch genutzt werden, andererseits bei dekompensierten Erkrankungen entlastend/schonend wirken.

Wie jede interaktive Physiotherapie muss die Klimaexposition als Freiluftaufenthalt richtig indiziert und dosiert werden, die ubiquitären atmosphärischen Bedingungen sind zu berücksichtigen, speziell der Sauerstoffpartialdruck der Atmosphäre und die Luftfeuchte.
 
Folgende Klimaexpositionsverfahren existieren: Liegekur, Luftbad, Sonnenbad, Nachtschlaf im Freien und speziell die Bewegungstherapie als „Terrainkur“. Klimaphysiologie als Angewandte Physiologie und daraus resultierend Medizin-Meteorologie und Bioklimatologie zeigen, dass die Klimaelemente (besser das aktuelle Wetter) Stoffwechsel, das Neuroendokrinium und das Immunsystem, vor allem aber auch Zirkulation und Atmung anregen: Funktionelle Störungen und Krankheiten werden beeinflusst, bei richtiger Dosierung und Indikation gebessert. Gesundheitspolitisch problematisiert wird die therapeutische Exposition dadurch, dass auch Gesunde eine Funktionsverbesserung erreichen, dies also gezielte „Erholung“ außerhalb der Leistungspflicht der Sozialversicherungen ist (aktuelle Schlagworte: Fitness, „wellbeing“, Vitalität, Rekreation, Regeneration).
 
6.1. Orotherapie
Das Gebirgsklima verbessert vor allem die Sauerstoffgewebsutilisation und die Sauerstofftransportkapazität des Blutes. Charakteristisch ist eine kurzzeitige Aktivierung des Sympathikus, gefolgt von einer Vagotonie mit resultierender Pulsverlangsamung und bei richtiger Dosierung Blutdruckerniedrigung. Parallel dazu wird die Ventilation signifikant verbessert.

6.2. Thalassotherapie
Bei Seeklimaexposition (also Thalasso-Therapie) werden ebenfalls die Hypophyse, Nebennierenrinde, Schilddrüse stimuliert, an der Nordsee deutlich stärker als an der („milderen“) Ostsee.
 
Wesentlich ist die Verbesserung der Thermoregulation mit gleichzeitig verminderter Kälteempfindlichkeit („Abhärtung“ als klassische Re-Konditionierung/Roborierung).
 
(Bei Hausstaubmilbenüberempfindlichkeit ist allerdings das Hochgebirge vorzuziehen.)

7. Zusammenfassung

Jede rationale Behandlung muss ihre Wirksamkeit nachweisen, gleichzeitig die Nebenwirkungen und die Kosten (modern: Gesundheits-Ökonomie) deklarieren. Für die Pharmakotherapie werden diese Kriterien strikt erfüllt; Prüfungen sind wegen der Monokausalität und Möglichkeit verblindeter Plazebo/(Nozebo-)Studien methodisch sehr viel einfacher als in der Kurortmedizin („Wirkakkord“) speziell, aber auch in Chirurgie, Psychotherapie oder Physiotherapie, wo eine Verblindung unmöglich ist. Aber alle anderen Forderungen der „klinischen“ Biometrie sind auch in diesen Bereichen realisierbar.
 
Die – zunächst wegen fehlender Alternativen – älteste Therapieform der Menschheit kommt zunehmend in einen Erklärungsnotstand bezüglich ihrer Wirksamkeit, die die Akzeptanz bei den Patienten nicht aufwiegt. Die Wirkfaktoren (Strukturqualität: „Hardware“) sind qualitätszertifiziert, die Wirkmechanismen weitgehend geklärt, Wirkungen definiert, die Wirksamkeit für Spezifika evaluiert (Prozessqualität); der für die individuelle Therapie wichtige komplexe, umfassende „Wirkakkord“ erschwert die Evaluation, was diese Therapieform abwertet. Nur die Balneologie/Balneomedizin und Klimatologie, naturwissenschaftlich, sozialwissenschaftlich und medizinisch, kann diese Beweise führen, wenn die Ergebnisqualität zielgerichtet und adäquat („Software“) überprüft wird. Die Physiologie mit den Rouxschen Regeln respektive dem Selyeschen Stress erscheint dazu ideal geeignet.
 
Die Faktoren der Umwelt (Geosphäre), also der Hygrosphäre und Lithosphäre, aber auch der Atmosphäre, können schädigen (Umweltmedizin), irrelevant sein, aber auch nützen im Sinne der Gesunderhaltung und der Therapie. Das ist richtig verstandene Kurortmedizin, stationär, poliklinisch und vor allem ambulant.

Die deutschen Kurorte und ihre natürlichen Heilmittel

Mineralheilbäder und Mineral- und Moorheilbäder

Moorheilbäder, Indikationen

Heilklimatische Kurorte

Seeheilbäder und Seebäder

Kneippheilbäder und Kneippkurorte

Prinzipien der Kurortbehandlung

Grundlagen der zeitgemäßen Behandlung in den Heilbädern und Kurorten

Kriterien des Kurerfolgs

Einführung in Chemie und Charakteristik der Heilwässer und Peloide

Therapie mit Ortsspezifika

Physikalische Therapie am Kurort

Sport im Kurort

Diätetik

Trinkkuren

Thalassotherapie

Das Kneippsche Naturheilverfahren

Die Moortherapie

Die Kompaktkur

Wellness im Kurort

Kur und Kurseelsorge

Angebote

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