Die deutschen Kurorte und ihre natürlichen Heilmittel

Sport im Kurort

Prof. Dr. med. Aloys Berg / Andreas Berg / Georg Huber

Auf Grundlage anerkannter Ergebnisse aus Epidemiologie und Intervention und der damit dokumentierten Bedeutung von Körperkomposition und Fitness für die Ausprägung von Risikofaktoren der Koronaren Herzkrankheit oder des Altersdiabetes sollten heute mehr als bisher bewegungsorientierte Präventionsprogramme auch an Kurorten angeboten werden. Die Inhalte dieser zeitlich begrenzten Kurse können sich an regelmäßigen sportpraktischen Übungen unter Nutzung klimatischer Reize, der Anwendung physikalischer Therapie und der gleichzeitigen Vermittlung präventivmedizinischer Inhalte orientieren. Die Kursteilnehmer sollten nach erfolgreicher Teilnahme an beaufsichtigten und von kompetentem Fachpersonal geführten Präventionsprogrammen in der Lage sein, über die Vermittlung dieser Gesundheitsinhalte ihren Lebensstil bei gleichzeitiger Verbesserung der körperlichen Fitness in Richtung auf eine gesunde, d. h. risikoarme Lebensweise zu verändern.
 

Gesundheitspolitischer Hintergrund

Rund 27 Millionen Bundesbürger sind nach offiziellen Angaben Mitglied im Deutschen Sportbund (DSB) und nehmen jedes Jahr an insgesamt 240 Millionen Sportübungsstunden teil. Nach Schätzungen treiben darüber hinaus mehr als 4 Millionen Bürger ohne Vereinszugehörigkeit regelmäßig Ausdauersport; ca. 1 Million sind regelmäßige Besucher von Fitness- und Kraftsportzentren. Diese Angaben stehen im Widerspruch zum objektiven Gesundheitszustand der Bevölkerung, sichtbar an Ernährungsgewohnheiten und messbar am Körpergewicht sowie den Blutfettwerten. So ist bereits heute fast jeder zweite Deutsche übergewichtig und jeder fünfte adipös. Die veränderten Lebensumstände und damit verbundenen Verhaltensweisen in der westlichen Welt sind für diese dramatische Entwicklung verantwortlich. Falsche Ernährung und unzureichende körperliche Aktivität im Alltagsleben sind nachweislich assoziiert mit Risikofaktoren wie Adipositas, gestörter Glukosetoleranz mit peripherer Insulinresistenz, Hyperfibrinogenämie, niedrigem HDL-Cholesterinspiegel, erhöhten Triglyzeriden und erhöhten Konzentrationen von kleinen dichten, besonders atherogenen LDL-Partikeln (small dense LDL), als Symptomkomplex auch als metabolisches Syndrom zusammengefasst. Eine effektive und sozioökonomische tragbare Lösung für dieses Problem kann allein die dauerhafte Umstellung des Aktivitätsverhaltens in Richtung auf eine energetisch ausgeglichene Lebensweise und eine gleichzeitige Verbesserung der Ernährungsqualität sein. Erfolg versprechend sind allerdings nur machbare und umsetzbare Lebensstilkonzepte, die auf die Verbesserung der Lebensqualität und des Wohlbefindens (siehe Abb. 1) und nicht mahnend auf medizinische Inhalte und klassische Risikofaktoren ausgerichtet sind. Auf diese Weise angeleitet sollten Kurgäste die sanfte Form des Ausgleichssports entdecken. Dies ist aus medizinischer Sicht sehr begrüßenswert, denn auch regelmäßige moderate körperliche Aktivität besitzt nachweislich eine kardioprotektive Wirkung unabhängig von Lebensalter und kardialer Vorerkrankung. Dadurch angeregt, können Änderungen im Lebensstil und Aktivitätsverhalten, so etwa nach längeren Inaktivitätsphasen oder auch bei bestehender Primärerkrankung, fassbare Erfolge und Besserungen bei Herzkreislauf- und Stoffwechselerkrankungen bewirken und zudem die Stimmungslage positiv beeinflussen.
 
Da die Weichen für die Ausbildung von Risikofaktoren und die damit verbundene Entwicklung atherosklerotischer Gefäßveränderungen aber bereits Jahrzehnte vor der Manifestation einer späteren koronaren Herzerkrankung gestellt werden, muss die Prävention mit vermehrter körperlicher Aktivität, Ernährungsschulung und Gewichtsreduktion schon im frühen Erwachsenenalter propagiert und begonnen werden. Bei Realisation und breiter Umsetzung derartiger Präventionsprogramme besteht dann die Möglichkeit, über einen ganzheitlichen Therapieansatz die frühzeitige Manifestation chronisch degenerativer Erkrankungen zu hemmen und anfallende Spätkosten in der Behandlung und Rehabilitation chronischer Erkrankungen zu reduzieren. Trotz dieses einleuchtenden Konzeptes und der Wirkung körperlicher Aktivität auf Körpergewicht, Körperkomposition und Ausbildung des metabolischen Syndroms, wird bisher diesem Ansatz in Deutschland weder durch größere Interventionsprojekte zur Lebensstiländerung noch durch Organisation und Durchführung von einer ausreichenden Zahl an Präventionsgruppen genügend Rechnung getragen. Hier besteht die Möglichkeit, auch ambulante Angebote am Kurort zu propagieren, die den präventivmedizinischen Ansatz in einem attraktiven und modernen Programm als komplexe Terrainkur (Sporttherapie, Ernährungstherapie, Gesundheitserziehung, Stressbewältigung) aufgreifen und mit den am Kurort bestehenden Mitteln umsetzen können.

Gezielte Aktivität als Gesundheitsmanagement – die Wirkweise

Vier wesentliche Punkte zur Wirkung und Wirkweise der für den Kurort geeigneten, moderaten körperlichen Aktivität als wesentlicher Lebensstilfaktor, sollten aus gesundheitlicher Sicht von allen beachtet werden:
  1. Die bewusst in den Lebensstil eingebrachte körperlicher Aktivität stellt neben der vollwertigen Ernährung und einer möglicherweise notwendigen medikamentösen Therapie die dritte Säule für die Verhütung von atherosklerotisch bedingten Erkrankungen dar. Der dabei anzustrebende, optimale Aktivitätsumsatz in der Freizeit wird aus Daten gesicherter epidemiologischer Beobachtungen und Interventionsstudien abgeleitet. Auch wenn gezielte Aktivitäten von 30 Minuten pro Tag anzustreben sind, ist entsprechend einer Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen körperlicher Aktivität und Gesundheitsverlauf schon bei moderaten Intensitäten (50% HF max.) und Häufigkeiten (3mal pro Woche) von 30 Minuten pro Aktivitätseinheit ein Benefit zu verzeichnen. Durch alltägliche Freizeitaktivitäten können ein Energieumfang von ca. 1.500 kcal/Woche und durch gezielte, sportliche Aktivitäten wie etwa zügiges Spazierengehen, Walken oder Wandern weitere ca. 1.000 kcal/Woche eingebracht werden. Mit vertretbarem Aufwand können also Wochenenergieumsätze für Freizeitaktivitäten oberhalb der präventivmedizinisch sinnvollen Schwelle von 2.000 kcal von Gesunden wie Kranken aller Alterstufen problemlos erreicht werden.
     
  2. Mit zunehmendem Lebensalter nimmt der Anteil an aktiver Zellmasse deutlich ab und wird durch Fetteinlagerungen mehr als nur kompensiert. Hierdurch verschlechtert sich die Körperkomposition, das Körpergewicht nimmt zu. Hierunter wird auch das körpereigene Gleichgewicht von Schutz- und Schadensfaktoren in Richtung auf eine Stoffwechselsituation verändert, die die Entwicklung von chronischen Erkrankungen wie die Arteriosklerose, den Diabetes und auch Krebs fördert. Über regelmäßige körperliche Aktivität auch mit moderater Intensität können Risikofaktoren wie erhöhte Insulin- und Entzündungswerte, ein erhöhter Anteil an Triglyzeriden und ein ungünstiges Verhältnis der Lipoproteinpartikel günstig beeinflusst werden. Auch die sich zusätzlich einstellenden Gesundheitseffekte bei Freizeitaktivitäten wie Walken oder Wandern sind von Bedeutung: erhöhtes Wohlbefinden, verbesserte muskuläre Leistungsfähigkeit, reduziertes Krebs- und Osteoporoserisiko. Dies gilt umso mehr, als unangemessene oder übertriebene sportliche Aktivität bei schlechtem Trainings- oder Gesundheitsstatus die Gesundheitsprognose sogar verschlechtern kann.
     
  3. Es ist naheliegend anzunehmen, dass das vielseitige Gesundheitsbenefit von gesund und gleichzeitig aktiv alt werdenden Menschen durch eine günstige Körperkomposition und über einen regelmäßigen muskulären, anabolen Stimulus mit Erhalt der Muskelmasse zurückzuführen ist. Dieser scheint durch einen metabolischen, anti-katabolen Stimulus mit erhöhter Fettoxidation während regelmäßiger Ausdaueraktivität zusätzlich verstärkt zu werden. Ausschlaggebend für den Erhalt der metabolischen Fitness und der motorischen Kompetenz ist dabei nicht die ergometrisch testbare, muskuläre Leistungsfähigkeit per se, sondern die regelmäßige muskuläre Beanspruchung und Nutzung der aeroben und anaeroben Energiebereitstellung während des Zeitraums der körperlichen Belastung. So ist die Trainierbarkeit der oxidativen wie auch glykolytischen metabolischen Kapazität, ebenso wie die Anpassung auf struktureller und neuromuskulärer Ebene für den Muskel des alternden und kranken Menschen heute bewiesen. Aufsehen erregen aktuell experimentelle Ergebnisse zur Pathophysiologie der altersbedingten Sarkopenie, die auf die positive Beeinflussung von katabolen Regulationsfaktoren durch körperliche Aktivität, hier als Training zur Verbesserung der Kraftausdauer hinweisen. Diese Ergebnisse stehen in gutem Einklang zu epidemiologischen Befunden, dass regelmäßige Freizeitaktivität auch die Entzündungsreaktion reduziert – ein Prozess, der als signifikanter, unabhängiger Risikofaktor in der Entwicklung der Atherosklerose gesehen werden muss.
     
  4. Schließlich muss verstanden und akzeptiert werden, dass nicht alle Sport Treibenden von ihrem Aktivitätsverhalten in gleicher Weise gesundheitlich profitieren. So ist das gesundheitliche Benefit und entsprechend die Absenkung des kalkulierten Risikos für Herzkreislauf- und Stoffwechselerkrankungen dann besonders hoch, wenn von einem schlechten Fitnesslevel oder Risikoniveau gestartet wird. Um dies besser einzuschätzen, kann man sich am jeweiligen Body-Mass-Index (BMI) und der Ausdauerleistungsfähigkeit orientieren. Für Personen mit schlechter Fitness (Leistung < 125 W bzw. 5 MET) muss bereits bei geringem Übergewicht (BMI > 27) mit einer Zunahme der Körperfettmasse und erhöhten atherogenen Risikofaktoren gerechnet werden. Deshalb ist verständlich, dass Personen mit bereits bestehenden Risikofaktoren über die Positivwirkung der Lebensstiländerung und vermehrter körperlicher Aktivität bezüglich ihrer Gesundheit besonders profitieren. Dies gilt unabhängig vom Geschlecht auch für Patienten mit bereits diagnostizierter koronarer Herzkrankheit, im höheren Lebensalter und in der Kombination mit medikamentösen Therapiestrategien. Gegenüber einer medikamentösen Therapie besitzt die Mehraktivität zwar den Vorteil, das atherogene Lipoproteinprofil in sämtlichen Teilbereichen günstig zu beeinflussen, bei Personen mit bereits bestehender koronarer Herzkrankheit reichen aber meist Änderungen des Gesundheitsverhaltens nicht aus, um die heute empfohlene, drastische Senkung im LDL-Cholesterin auf Werte unter 100 mg/dl zu erreichen. Entsprechend kann hier trotz allen Benefits durch körperliche Aktivität auf eine medikamentöse Intervention meist nicht verzichtet werden.
Präventions- und therapieorientierte Bewegungsprogramme sind heute jedoch nicht mehr allein auf die koronare Herzkrankheit und atherosklerotische Erkrankungen ausgerichtet. Für eine Vielzahl von chronischen Erkrankungen liegen kontrollierte Daten zur therapeutischen Wirksamkeit von Bewegungsprogrammen bei Patienten vor. Basierend auf diesen Erfahrungen bieten sich entsprechend sport- und bewegungsorientierte Präventionsprogramme bevorzugt für Kurgäste mit folgendem Befund an:
  • koronare Herzkrankheit
  • Fettstoffwechselstörungen
  • Übergewicht oder Typ-II-Diabetes
  • Hypertonie
  • Osteoporose
  • Rückenschmerzen
  • Arthrose
  • depressive Stimmungslage
  • reduzierte motorische Kompetenz
  • reduzierte körperliche Leistungsfähigkeit
  • höheres Lebensalter

Fazit

Sport und auch moderate Mehraktivität sind heute unverzichtbare Komponenten zur Verbesserung der metabolischen Fitness und zur Senkung des damit verbundenen Herzkreislauf- und Stoffwechselrisikos. Empfohlen wird, täglich mindestens 30 Minuten über die alltäglichen Basisaktivitäten hinaus als gezielte körperliche Freizeitaktivität einzubringen. Zur Erreichung dieses Ziels sind „sanfte Sportarten“ von Vorteil, da sie in jedem Lebensalter ohne kostspielige Hilfsmittel und ohne sportartspezifische Vorerfahrung umgesetzt werden können.
 
Bewegungsorientierte Präventionsprogramme besitzen nachweislich therapeutische und vorbeugende Wirkungen bei Personen mit erhöhtem Krankheitsrisiko. Sie sollten deshalb vermehrt auch an Kurorten angeboten, in bestehende Therapiekonzepte integriert und über Gesundheitskompetenzzentren abgesichert werden.

Die deutschen Kurorte und ihre natürlichen Heilmittel

Mineralheilbäder und Mineral- und Moorheilbäder

Moorheilbäder, Indikationen

Heilklimatische Kurorte

Seeheilbäder und Seebäder

Kneippheilbäder und Kneippkurorte

Prinzipien der Kurortbehandlung

Grundlagen der zeitgemäßen Behandlung in den Heilbädern und Kurorten

Kriterien des Kurerfolgs

Einführung in Chemie und Charakteristik der Heilwässer und Peloide

Therapie mit Ortsspezifika

Physikalische Therapie am Kurort

Sport im Kurort

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