Krankengymnastik
Unter den Maßnahmen der physikalischen Therapie kommt der Krankengymnastik in der modernen Kurortbehandlung die größte Bedeutung zu. Bei Erkrankungen des Bewegungsapparates können lokale Störungen des Gelenkspiels gezielt therapiert werden. Hierbei nehmen die Methoden der Manuellen Medizin einen großen Raum ein. Nur selten jedoch bestehen isolierte Probleme. Die lokale Störung beeinträchtigt in der Regel weitere Komponenten der komplexeren Bewegungsmuster. Dies kommt zum Beispiel in dem Begriff der Muskelketten zum Ausdruck und ist die Basis der Therapie nach Brügger. Zunehmende Verbreitung finden die krankengymnastischen Behandlungsverfahren auf neurophysiologischer Grundlage (z. B. PNF, Bobath, Vojta etc.), die komplexere Zusammenhänge für die gezielte Therapie gestörter Funktionen nutzen. Diese Behandlungsformen kommen auch bei primär neurologisch bedingten Bewegungsstörungen zum Einsatz.
In den vergangenen Jahren benennen eine Vielzahl von Eigennamen spezifische Behandlungskonzepte, die sich die Therapeuten in langdauernden (und teueren) Fortbildungsveranstaltungen aneignen. Es ist bedauerlich, dass bisher keine Kontrollinstanzen diesem unübersichtlichen Wuchern von neuen Konzepten entgegentreten. Die akademische physikalische Therapie an den Universitäten ist hier als kompetente Stelle aufgerufen, wieder Ordnung in den Dschungel zu bringen und sinnvolle Weiterentwicklungen von überflüssigem Ballast zu trennen. Es ist unfair, diese Entscheidung einem jungen fortbildungswilligen Therapeuten zu überlassen.
Die traditionellen Schwerpunkte der Krankengymnastik, die Behandlung orthopädischer, rheumatologischer und neurologischer Krankheitsbilder, haben inzwischen – insbesondere am Kurort – eine ausgeprägte Weiterung erfahren. Als Beispiele seien das Training der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit, der „Gefäßsport“, die Atem und Entspannungstherapien sowie die allgemeine Mobilisation und Aktivierung in der Geriatrie genannt. Nicht unterschätzt werden sollten die Begleiteffekte der Krankengymnastik im psychischen und sozialen Bereich. Die kommunikations- und motivationsfördernde Wirkung einer Trainingstherapie in der Gruppe ist ein eindrucksvolles Beispiel.
Daneben haben die Krankengymnasten am Kurort vielfältige Aufgaben in der Information und Schulung der Patienten übernommen. Gerade bei den Krankheitsbildern, in denen die Qualität und Quantität von Haltung und Bewegung bedeutsam sind (als Beispiele: Rückenleiden, Diabetes mellitus), kommt der Physiotherapie ein hoher Stellenwert zu. Die jüngere Entwicklung der Krankengymnastik war dieser neuen Aufgabenstellung zuträglich. Das wiederholte Einüben motorischer Funktionen, ein Zeichen der traditionellen Krankengymnastik, hat einer stärkeren Betonung der sensorischen Leistungsfähigkeit Platz gemacht. Das bewusste Spüren körpereigener Funktionen, auch Dysfunktionen, ist die Voraussetzung zur selbständigen Korrektur von Störungen. Ein Patient mit einem Bandscheibenschaden wird seine Fehlhaltung im täglichen Leben nicht selbst korrigieren können, wenn er die Fehlhaltung nicht wahrnimmt. Das Training der Körperwahrnehmung, kompetent von Krankengymnasten zu leisten, ist bei einer Vielzahl von Erkrankungen die Grundlage für Patienten- Schulungsprogramme, die von allen modernen Kurorten angeboten werden.
Elektro- und Lichttherapie
Schmerzlinderung, Hyperämie und Muskelstimulation sind die Effekte, die mit Hilfe der Elektrotherapie erreicht werden können. Unterschiedliche Applikationsformen erlauben die gezielte Überwärmung oberflächlich oder tiefer gelegener Körperpartien. Auch hier ist in den letzten Jahren eine Vielzahl von Neuentwicklungen zu verzeichnen, zumeist Modifizierungen etablierter Verfahren, die häufig jedoch den Nachweis der Überlegenheit gegenüber älteren Geräten vermissen lassen. Die Elektrotherapie kommt vor allem in Kombination mit krankengymnastischen Maßnahmen zur Anwendung. Auch wenn die Wirkmechanismen oft nicht sicher bekannt sind, zeigen sich doch häufig zum Teil überraschende Behandlungserfolge.
Mit Infrarotbestrahlungen können inzwischen ebenfalls tiefere Gewebeschichten erwärmt werden. Unterschiedliche Spektralbereiche und Filtersysteme (Wasserfilter) erlauben eine tiefere Penetration der Strahlen bei gleichzeitiger Wärmeentlastung der Haut. Mit neueren Infrarotbestrahlungseinheiten ist eine Ganzkörperhyperthermie leicht zu erreichen.
Dermatologische Erkrankungen stellen die wichtigsten Indikationen für Behandlungen mit ultravioletten Strahlen dar. Die UV-Bestrahlung der Psoriasis im oder nach einem Solebad erlebt derzeit eine rasche Verbreitung in den Kurorten. Eine niedrig dosierte UV-Bestrahlung mit ausreichendem UVB-Anteil erscheint ebenfalls sinnvoll, wenn am Ende des Winters mit einem relativen Vitamin D-Mangel zu rechnen ist. Die physiologischere Vitamin D-Versorgung durch die kutane Synthese ist möglicherweise der oralen Vitamin D-Supplementation überlegen. Bei Patienten mit einem erhöhten Osteoporose- Risiko, insbesondere bei älteren Menschen, sollte die UV-Bestrahlung differentialtherapeutisch in Erwägung gezogen werden.
Thermo- und Hydrotherapie
Am Kurort werden die thermo- und hydrotherapeutischen Maßnahmen vor allem mit Hilfe der ortsgebundenen Heilmittel durchgeführt. Ergänzend stehen vielfältige Möglichkeiten der physikalischen Therapie zur lokalen oder systemischen Wärmezufuhr bzw. zum Wärmeentzug zur Verfügung.
Das angestrebte Behandlungsziel bestimmt die Wahl des Therapiemittels. Wird eine Erwärmung innerer Strukturen gewünscht, bieten sich die variablen Verfahren der bereits erwähnten Elektrotherapie an. Hierbei wird die absorbierte elektrische Energie in Wärme umgewandelt. Die Wärme kann ohne Belastung der Haut appliziert werden. Ansonsten erfolgt die Wärmezufuhr von außen, wie zum Beispiel bei der Infrarotbestrahlung oder bei der Ultraschallbehandlung.
Peloide (Moor, Fango etc.) werden in erster Linie bei rheumatologischen und gynäkologischen Krankheitsbildern verwendet. Die große Wärmekapazität und die relativ geringe Wärmeleitfähigkeit ermöglichen eine längerdauernde kontinuierliche Wärmezufuhr. Die relaxierende Wirkung einer vorbereitenden Peloidtherapie kann maßgeblich zu dem Erfolg einer nachfolgenden Massage beitragen.
Für die tägliche Praxis hat das Wasser als Wärmeträger die größte Bedeutung. Die unkomplizierte Handhabung, die gute Wärmeleitfähigkeit und die einfache Dosierbarkeit sind die wichtigsten Gründe für die weite Verbreitung in der Kurortbehandlung. Mannigfache Modifikationen der Wärmetherapie mit Wasser erlauben die gezielte Erwärmung bestimmter Gewebestrukturen oder auch des ganzen Körpers. Als Beispiele seien Wannenbäder, Teilbäder, Wärmflaschen, feuchte Wickel, Dampfbäder und Waschungen genannt.
Wenn die Indikation für eine wärmeentziehende Behandlung besteht, erfolgt die Therapie ebenfalls mit Wasser. Die schmerzlindernde Wirkung von Eis wird insbesondere zur Vorbereitung der Krankengymnastik genutzt. Die Tonussenkung durch kalte Teilbäder kann die Physiotherapie bei neurologischen Krankheitsbildern unterstützen. Die moderneren Behandlungen mit Kaltluft bzw. in der Kältekammer sind vor allem bei rheumatologischen Erkrankungen indiziert.
Der Wechsel von Wärme und Kälte hilft, die Regulationsfähigkeit der Gefäße zu verbessern, was sowohl bei leichten und mittelschweren arteriellen als auch bei venösen Durchblutungsstörungen sinnvoll ist. Wie weit das Training der Thermoregulation durch Warm-Kalt- Wechselbehandlungen im Sinne der Abhärtung Infekten vorbeugen kann, wird noch immer kontrovers diskutiert.
Die Hydrotherapie ist eine tragende Säule der Kneipp-Therapie, die nicht allein in den traditionellen Kneipp-Kurorten durchgeführt wird. Die in Ablauf und Dosierung klar zu definierenden Kneippschen Güsse erlauben die eindeutige Verordnung der gewünschten Form der Wasser-Behandlung. Nach Kaltanwendungen ist auf die zeitgerechte Reizantwort in Form der reaktiven Hyperämie zu achten. Erst die Nachbeobachtung des Patienten kann die richtige Dosierung des Gusses bestätigen und muss bei der Wahl der Dosierung von Folgebehandlungen beachtet werden.
Die Wärme- und Kältebehandlungen führen langfristig zu einer besseren Regulationsfähigkeit vegetativer und vaskulärer Funktionen. Diese adaptiven Veränderungen können zur „Normalisierung“ beitragen, sodass sowohl hypotone als auch hypertone Blutdruckstörungen eine sinnvolle Indikation darstellen. Auf Grund des so genannten Hafteffekts ist die Verbesserung der körpereigenen Regulationsfähigkeit auch lange nach dem Ende der Behandlung am Kurort noch nachweisbar.
Aerosoltherapie
Die Meeresbrandung und die Salinen (ehemalige Gradierwerke) erzeugen ein Aerosol, das gerade in den Sommermonaten von den Patienten mit Atemwegserkrankungen als äußerst angenehm empfunden wird. Sie berichten häufig über ein verbessertes „Durchatmen können“ nach einem Aufenthalt in dem Aerosol. Die Tröpfchen dieses Aerosols sind jedoch zu groß, um tiefer in den Respirationstrakt eindringen zu können.
Für die gezielte Therapie tieferer Abschnitte des Atemwegssystems sind künstlich erzeugte Aerosole notwendig. Ultraschall- und Düsenvernebler erzeugen definierte Tröpfchengrößen, die dann auch als Transportmedium für die Einbringung von Medikamenten geeignet sind. Die Bedeutung der medikamentösen Inhalationstherapie wurde in den letzten Jahren durch die weite Verbreitung der Dosieraerosole zurückgedrängt. Angesichts der bekannten Probleme bei der sachgemäßen Handhabung dieser Dosieraerosole verdient diese für den Patienten leichter durchführbare Form der Inhalationstherapie jedoch weiter Beachtung. Die konsequente Anwendung der strengen hygienischen Vorschriften ist selbstverständlich.
Massage
Die klassische Massage behandelt die Haut, Unterhaut, Faszien und Muskulatur. Modifikationen, wie zum Beispiel die Querfriktion oder die Massage nach Marnitz, konzentrieren sich auf lokal dolente Areale. Die Bindegewebsmassage ist die bekannteste Form der reflexiven Massagetechniken. Reflexmassagen erleben derzeit einen wahren Boom: Akupunktmassage, Fußreflexmassage etc. Leider sind die wissenschaftlichen Wirknachweise noch unbefriedigend. Die Massagebehandlung basiert noch immer in erster Linie auf klinischen Erfahrungen. Dennoch ist die große Bedeutung in der Kurortbehandlung unbestritten. Bei den Behandlungserfolgen spielen neben den lokalen Effekten sicherlich auch psychische Wirkungen eine wichtige Rolle. Aus dem engen somatischen Kontakt zum Therapeuten entwickelt sich oft sehr rasch ein erstaunliches Vertrauensverhältnis. Die Erfahrung zeigt, dass die Patienten mit dem Masseur zumeist offener und spontaner über ihre Probleme sprechen als mit dem Kurarzt oder dem Psychologen (vielleicht sollten Psychotherapeuten die Behandlung mit einer Massage beginnen?)
Manche Kritiker verweigern der Massage ihre Anerkennung, da in ihren Augen diese „passive“ Maßnahme „nur“ dem Wohlbefinden des Patienten diene. Selbst wenn dieser Effekt der Einzige wäre (was nicht zutrifft!), sollte diese Wirkung nicht unterschätzt werden. Das Körpererleben chronischer Patienten ist über lange Jahre hinweg von überwiegend negativen Erfahrungen geprägt. „Angenehme“ Behandlungen, zum Beispiel auch entspannende Wannenbäder, können dann durch die positive Körpererfahrung dazu beitragen, dass der Patient wieder Vertrauen in den eigenen Körper fasst und eher zu aktiven Rehabilitationsmaßnahmen motiviert ist.
Dieser kurze Abschnitt soll lediglich einen kleinen Überblick über die in den Kurorten am meisten verbreiteten Behandlungsverfahren der physikalischen Therapie geben. Die Therapie mit den ortsgebundenen Heilmitteln wird in Abschnitt 3 besprochen. Bezüglich ausführlicher Abhandlungen sei auf die entsprechenden Lehrbücher verwiesen. In den „Grundsätzen für eine zeitgemäße Behandlung in den Heilbädern und Kurorten“ (Abschnitt 2) sind die physikalischen Behandlungen angeführt, die bei den häufigsten Diagnosen sinnvoll verordnet werden können.