Die deutschen Kurorte und ihre natürlichen Heilmittel

Physikalische Therapie am Kurort

Dr. med. Albrecht Falkenbach

Die ortsgebundenen Heilmittel bestimmten aus der Tradition heraus die Indikationen des jeweiligen Kurorts. Inzwischen sind daraus moderne spezialisierte Zentren mit eben diesen Indikationen geworden. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, auch am Kurort alle Maßnahmen der Prävention, Behandlung und Rehabilitation anbieten zu können. Die Physikalische Therapie ist bei allen chronischen Erkrankungen ein fester Bestandteil des Behandlungskonzepts, selbstverständlich auch am Kurort.

Individuelle Indikationsstellung

Die zunehmende Schwere der am Kurort behandelten Erkrankungen sowie das höhere Alter der häufig multimorbiden Patienten stellen immer größere Anforderungen an die medizinische Leistungsfähigkeit der Kurortmedizin. Der wachsende ökonomische Druck der letzten Jahre hat diese Tendenz weiter verstärkt. In kürzeren Aufenthaltszeiten sollen die Patienten möglichst umfassend rehabilitiert werden, damit sie danach ihre körperlichen, psychischen und sozialen Aufgaben wieder bestmöglich erfüllen können. Für die allgemeine Erholung und die Schonung, die die Anfänge der Kurortmedizin charakterisiert hatten, bleibt häufig nur unphysiologisch wenig Zeit.
 
Für diesen Aspekt der Schonung, der bei vielen Patienten am Anfang des Aufenthaltes am Kurort die sinnvollste Therapie darstellen würde (die Akklimatisation ist für den kranken Menschen oft Belastung genug), haben einige Kostenträger wenig Verständnis. Auch die Patienten selbst drängen zunehmend auf einen möglichst vollen Verordnungsplan, der Gedanke des „viel hilft viel“ bestimmt die Erwartungshaltung. Sinnvolle Schonung wird häufig mit inakzeptablem Müßiggang gleichgesetzt. Es ist die Aufgabe des Kurarztes, hier mäßigend zu reagieren, aufzuklären und nach der Diagnostik in Absprache mit dem Patienten den individuell optimalen Behandlungsplan zu erstellen. Wo am Anfang Schonung sinnvoll ist, sollte diese auch weiterhin „verordnet“ werden.
 
Diese Ausführungen seien dem Kapitel vorangestellt, um insbesondere bei älteren und sehr kranken Menschen vor einer Übertherapie zu warnen. Physikalische Behandlungsmaßnahmen sind ein fester Bestandteil der Kurortmedizin. Sie dürfen jedoch nicht dem Zweck dienen, – aus welchen Gründen auch immer – einen Kurplan zu füllen, sondern müssen individuell, medizinisch sinnvoll verordnet werden. Dann können sie mit großer Wahrscheinlichkeit maßgeblich zum Kurerfolg und zur langfristigen Rehabilitation beitragen.

Warum physikalische Therapie am Kurort

Die ortsgebundenen Heilmittel und die klimatischen Verhältnisse stellen die Grundlage der Kurortbehandlung dar. Sie sind systemisch wirksame Reize, die das Reaktions- und Regulationsvermögen des Patienten trainieren und verbessern sollen. Sie stellen das Spezifische des Kurortes dar und legen dessen Indikationen fest. Mit dem zunehmenden Schweregrad der am Kurort behandelten Erkrankungen ist diese systemische Therapie allein für die Rehabilitation des Patienten nicht ausreichend. Die gezielte Behandlung einzelner funktioneller Defizite ist die notwendige Voraussetzung für die bessere Funktion übergeordneter hierarchischer Strukturen und schließlich für die bestmögliche Gesundung des Patienten. Dieses Aufgabengebiet ist die Domäne der physikalischen Therapie.
 
Eine möglichst präzise Diagnose ist die Grundlage einer jeden gezielten Behandlung. Dies gilt für alle Bereiche der therapeutischen Medizin, auch für die physikalische Therapie. In Kenntnis der Diagnose, der pathologisch veränderten Strukturen und der gestörten Funktionen sollte sich der Kurarzt hinsichtlich des erreichbaren Therapieziels festlegen. Hierbei gilt es, die Möglichkeiten der Behandlung realistisch zu beurteilen und mit dem Patienten offen zu diskutieren. Der nächste Schritt ist die Verordnung der Behandlungen, die zum Erreichen des angestrebten Therapieziels geeignet erscheinen.
 
Die Verordnung von physikalischer Therapie ohne vorherige Definition des Behandlungsziels ist nicht sinnvoll. Physikalische Maßnahmen sind lediglich ein Mittel zum Erreichen des Behandlungsziels. Aus diesem Grunde ist es auch vorteilhaft, dem Therapeuten mit der Verordnung auch das erhoffte Resultat der Behandlung mitzuteilen. Rückkopplungen von Seiten des Therapeuten während der Behandlungsserie sind ebenfalls anzustreben. Die zumindest dreimalige Vorstellung bei dem betreuenden Kurarzt sollte während der üblichen drei- bis vierwöchigen Kurortbehandlung eingehalten werden.
 
Welche Form der physikalischen Therapie in welcher Dosierung und welcher Wiederholungsfolge der Kurarzt verordnet, hängt von dem aktuellen Befund und der Konstitution des Patienten, dem Therapieangebot an dem jeweiligen Kurort und nicht zuletzt von den eigenen Erfahrungen des Kurarztes ab.

Physikalische Behandlungsverfahren

Krankengymnastik
Unter den Maßnahmen der physikalischen Therapie kommt der Krankengymnastik in der modernen Kurortbehandlung die größte Bedeutung zu. Bei Erkrankungen des Bewegungsapparates können lokale Störungen des Gelenkspiels gezielt therapiert werden. Hierbei nehmen die Methoden der Manuellen Medizin einen großen Raum ein. Nur selten jedoch bestehen isolierte Probleme. Die lokale Störung beeinträchtigt in der Regel weitere Komponenten der komplexeren Bewegungsmuster. Dies kommt zum Beispiel in dem Begriff der Muskelketten zum Ausdruck und ist die Basis der Therapie nach Brügger. Zunehmende Verbreitung finden die krankengymnastischen Behandlungsverfahren auf neurophysiologischer Grundlage (z. B. PNF, Bobath, Vojta etc.), die komplexere Zusammenhänge für die gezielte Therapie gestörter Funktionen nutzen. Diese Behandlungsformen kommen auch bei primär neurologisch bedingten Bewegungsstörungen zum Einsatz.
 
In den vergangenen Jahren benennen eine Vielzahl von Eigennamen spezifische Behandlungskonzepte, die sich die Therapeuten in langdauernden (und teueren) Fortbildungsveranstaltungen aneignen. Es ist bedauerlich, dass bisher keine Kontrollinstanzen diesem unübersichtlichen Wuchern von neuen Konzepten entgegentreten. Die akademische physikalische Therapie an den Universitäten ist hier als kompetente Stelle aufgerufen, wieder Ordnung in den Dschungel zu bringen und sinnvolle Weiterentwicklungen von überflüssigem Ballast zu trennen. Es ist unfair, diese Entscheidung einem jungen fortbildungswilligen Therapeuten zu überlassen.
 
Die traditionellen Schwerpunkte der Krankengymnastik, die Behandlung orthopädischer, rheumatologischer und neurologischer Krankheitsbilder, haben inzwischen – insbesondere am Kurort – eine ausgeprägte Weiterung erfahren. Als Beispiele seien das Training der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit, der „Gefäßsport“, die Atem und Entspannungstherapien sowie die allgemeine Mobilisation und Aktivierung in der Geriatrie genannt. Nicht unterschätzt werden sollten die Begleiteffekte der Krankengymnastik im psychischen und sozialen Bereich. Die kommunikations- und motivationsfördernde Wirkung einer Trainingstherapie in der Gruppe ist ein eindrucksvolles Beispiel.
 
Daneben haben die Krankengymnasten am Kurort vielfältige Aufgaben in der Information und Schulung der Patienten übernommen. Gerade bei den Krankheitsbildern, in denen die Qualität und Quantität von Haltung und Bewegung bedeutsam sind (als Beispiele: Rückenleiden, Diabetes mellitus), kommt der Physiotherapie ein hoher Stellenwert zu. Die jüngere Entwicklung der Krankengymnastik war dieser neuen Aufgabenstellung zuträglich. Das wiederholte Einüben motorischer Funktionen, ein Zeichen der traditionellen Krankengymnastik, hat einer stärkeren Betonung der sensorischen Leistungsfähigkeit Platz gemacht. Das bewusste Spüren körpereigener Funktionen, auch Dysfunktionen, ist die Voraussetzung zur selbständigen Korrektur von Störungen. Ein Patient mit einem Bandscheibenschaden wird seine Fehlhaltung im täglichen Leben nicht selbst korrigieren können, wenn er die Fehlhaltung nicht wahrnimmt. Das Training der Körperwahrnehmung, kompetent von Krankengymnasten zu leisten, ist bei einer Vielzahl von Erkrankungen die Grundlage für Patienten- Schulungsprogramme, die von allen modernen Kurorten angeboten werden.
 
Elektro- und Lichttherapie
Schmerzlinderung, Hyperämie und Muskelstimulation sind die Effekte, die mit Hilfe der Elektrotherapie erreicht werden können. Unterschiedliche Applikationsformen erlauben die gezielte Überwärmung oberflächlich oder tiefer gelegener Körperpartien. Auch hier ist in den letzten Jahren eine Vielzahl von Neuentwicklungen zu verzeichnen, zumeist Modifizierungen etablierter Verfahren, die häufig jedoch den Nachweis der Überlegenheit gegenüber älteren Geräten vermissen lassen. Die Elektrotherapie kommt vor allem in Kombination mit krankengymnastischen Maßnahmen zur Anwendung. Auch wenn die Wirkmechanismen oft nicht sicher bekannt sind, zeigen sich doch häufig zum Teil überraschende Behandlungserfolge.
 
Mit Infrarotbestrahlungen können inzwischen ebenfalls tiefere Gewebeschichten erwärmt werden. Unterschiedliche Spektralbereiche und Filtersysteme (Wasserfilter) erlauben eine tiefere Penetration der Strahlen bei gleichzeitiger Wärmeentlastung der Haut. Mit neueren Infrarotbestrahlungseinheiten ist eine Ganzkörperhyperthermie leicht zu erreichen.
 
Dermatologische Erkrankungen stellen die wichtigsten Indikationen für Behandlungen mit ultravioletten Strahlen dar. Die UV-Bestrahlung der Psoriasis im oder nach einem Solebad erlebt derzeit eine rasche Verbreitung in den Kurorten. Eine niedrig dosierte UV-Bestrahlung mit ausreichendem UVB-Anteil erscheint ebenfalls sinnvoll, wenn am Ende des Winters mit einem relativen Vitamin D-Mangel zu rechnen ist. Die physiologischere Vitamin D-Versorgung durch die kutane Synthese ist möglicherweise der oralen Vitamin D-Supplementation überlegen. Bei Patienten mit einem erhöhten Osteoporose- Risiko, insbesondere bei älteren Menschen, sollte die UV-Bestrahlung differentialtherapeutisch in Erwägung gezogen werden.
 
Thermo- und Hydrotherapie
Am Kurort werden die thermo- und hydrotherapeutischen Maßnahmen vor allem mit Hilfe der ortsgebundenen Heilmittel durchgeführt. Ergänzend stehen vielfältige Möglichkeiten der physikalischen Therapie zur lokalen oder systemischen Wärmezufuhr bzw. zum Wärmeentzug zur Verfügung.
 
Das angestrebte Behandlungsziel bestimmt die Wahl des Therapiemittels. Wird eine Erwärmung innerer Strukturen gewünscht, bieten sich die variablen Verfahren der bereits erwähnten Elektrotherapie an. Hierbei wird die absorbierte elektrische Energie in Wärme umgewandelt. Die Wärme kann ohne Belastung der Haut appliziert werden. Ansonsten erfolgt die Wärmezufuhr von außen, wie zum Beispiel bei der Infrarotbestrahlung oder bei der Ultraschallbehandlung.
 
Peloide (Moor, Fango etc.) werden in erster Linie bei rheumatologischen und gynäkologischen Krankheitsbildern verwendet. Die große Wärmekapazität und die relativ geringe Wärmeleitfähigkeit ermöglichen eine längerdauernde kontinuierliche Wärmezufuhr. Die relaxierende Wirkung einer vorbereitenden Peloidtherapie kann maßgeblich zu dem Erfolg einer nachfolgenden Massage beitragen.
 
Für die tägliche Praxis hat das Wasser als Wärmeträger die größte Bedeutung. Die unkomplizierte Handhabung, die gute Wärmeleitfähigkeit und die einfache Dosierbarkeit sind die wichtigsten Gründe für die weite Verbreitung in der Kurortbehandlung. Mannigfache Modifikationen der Wärmetherapie mit Wasser erlauben die gezielte Erwärmung bestimmter Gewebestrukturen oder auch des ganzen Körpers. Als Beispiele seien Wannenbäder, Teilbäder, Wärmflaschen, feuchte Wickel, Dampfbäder und Waschungen genannt.
 
Wenn die Indikation für eine wärmeentziehende Behandlung besteht, erfolgt die Therapie ebenfalls mit Wasser. Die schmerzlindernde Wirkung von Eis wird insbesondere zur Vorbereitung der Krankengymnastik genutzt. Die Tonussenkung durch kalte Teilbäder kann die Physiotherapie bei neurologischen Krankheitsbildern unterstützen. Die moderneren Behandlungen mit Kaltluft bzw. in der Kältekammer sind vor allem bei rheumatologischen Erkrankungen indiziert.
 
Der Wechsel von Wärme und Kälte hilft, die Regulationsfähigkeit der Gefäße zu verbessern, was sowohl bei leichten und mittelschweren arteriellen als auch bei venösen Durchblutungsstörungen sinnvoll ist. Wie weit das Training der Thermoregulation durch Warm-Kalt- Wechselbehandlungen im Sinne der Abhärtung Infekten vorbeugen kann, wird noch immer kontrovers diskutiert.
 
Die Hydrotherapie ist eine tragende Säule der Kneipp-Therapie, die nicht allein in den traditionellen Kneipp-Kurorten durchgeführt wird. Die in Ablauf und Dosierung klar zu definierenden Kneippschen Güsse erlauben die eindeutige Verordnung der gewünschten Form der Wasser-Behandlung. Nach Kaltanwendungen ist auf die zeitgerechte Reizantwort in Form der reaktiven Hyperämie zu achten. Erst die Nachbeobachtung des Patienten kann die richtige Dosierung des Gusses bestätigen und muss bei der Wahl der Dosierung von Folgebehandlungen beachtet werden.
 
Die Wärme- und Kältebehandlungen führen langfristig zu einer besseren Regulationsfähigkeit vegetativer und vaskulärer Funktionen. Diese adaptiven Veränderungen können zur „Normalisierung“ beitragen, sodass sowohl hypotone als auch hypertone Blutdruckstörungen eine sinnvolle Indikation darstellen. Auf Grund des so genannten Hafteffekts ist die Verbesserung der körpereigenen Regulationsfähigkeit auch lange nach dem Ende der Behandlung am Kurort noch nachweisbar.
 
Aerosoltherapie
Die Meeresbrandung und die Salinen (ehemalige Gradierwerke) erzeugen ein Aerosol, das gerade in den Sommermonaten von den Patienten mit Atemwegserkrankungen als äußerst angenehm empfunden wird. Sie berichten häufig über ein verbessertes „Durchatmen können“ nach einem Aufenthalt in dem Aerosol. Die Tröpfchen dieses Aerosols sind jedoch zu groß, um tiefer in den Respirationstrakt eindringen zu können.
 
Für die gezielte Therapie tieferer Abschnitte des Atemwegssystems sind künstlich erzeugte Aerosole notwendig. Ultraschall- und Düsenvernebler erzeugen definierte Tröpfchengrößen, die dann auch als Transportmedium für die Einbringung von Medikamenten geeignet sind. Die Bedeutung der medikamentösen Inhalationstherapie wurde in den letzten Jahren durch die weite Verbreitung der Dosieraerosole zurückgedrängt. Angesichts der bekannten Probleme bei der sachgemäßen Handhabung dieser Dosieraerosole verdient diese für den Patienten leichter durchführbare Form der Inhalationstherapie jedoch weiter Beachtung. Die konsequente Anwendung der strengen hygienischen Vorschriften ist selbstverständlich.

Massage
Die klassische Massage behandelt die Haut, Unterhaut, Faszien und Muskulatur. Modifikationen, wie zum Beispiel die Querfriktion oder die Massage nach Marnitz, konzentrieren sich auf lokal dolente Areale. Die Bindegewebsmassage ist die bekannteste Form der reflexiven Massagetechniken. Reflexmassagen erleben derzeit einen wahren Boom: Akupunktmassage, Fußreflexmassage etc. Leider sind die wissenschaftlichen Wirknachweise noch unbefriedigend. Die Massagebehandlung basiert noch immer in erster Linie auf klinischen Erfahrungen. Dennoch ist die große Bedeutung in der Kurortbehandlung unbestritten. Bei den Behandlungserfolgen spielen neben den lokalen Effekten sicherlich auch psychische Wirkungen eine wichtige Rolle. Aus dem engen somatischen Kontakt zum Therapeuten entwickelt sich oft sehr rasch ein erstaunliches Vertrauensverhältnis. Die Erfahrung zeigt, dass die Patienten mit dem Masseur zumeist offener und spontaner über ihre Probleme sprechen als mit dem Kurarzt oder dem Psychologen (vielleicht sollten Psychotherapeuten die Behandlung mit einer Massage beginnen?)
 
Manche Kritiker verweigern der Massage ihre Anerkennung, da in ihren Augen diese „passive“ Maßnahme „nur“ dem Wohlbefinden des Patienten diene. Selbst wenn dieser Effekt der Einzige wäre (was nicht zutrifft!), sollte diese Wirkung nicht unterschätzt werden. Das Körpererleben chronischer Patienten ist über lange Jahre hinweg von überwiegend negativen Erfahrungen geprägt. „Angenehme“ Behandlungen, zum Beispiel auch entspannende Wannenbäder, können dann durch die positive Körpererfahrung dazu beitragen, dass der Patient wieder Vertrauen in den eigenen Körper fasst und eher zu aktiven Rehabilitationsmaßnahmen motiviert ist.
 
Dieser kurze Abschnitt soll lediglich einen kleinen Überblick über die in den Kurorten am meisten verbreiteten Behandlungsverfahren der physikalischen Therapie geben. Die Therapie mit den ortsgebundenen Heilmitteln wird in Abschnitt 3 besprochen. Bezüglich ausführlicher Abhandlungen sei auf die entsprechenden Lehrbücher verwiesen. In den „Grundsätzen für eine zeitgemäße Behandlung in den Heilbädern und Kurorten“ (Abschnitt 2) sind die physikalischen Behandlungen angeführt, die bei den häufigsten Diagnosen sinnvoll verordnet werden können.

Physikalische Therapie am Kurort oder wohnortnah?

Die Kontroverse
Warum sollte physikalische Therapie am Kurort durchgeführt werden, wenn sie ebenso wohnortnah angeboten wird? Diese Diskussion wird seit einigen Jahren sehr heftig und leider häufig wenig sachlich geführt. Bedauerlicherweise werden oft Argumente vorgebracht, die mehr oder weniger von finanziellen (Eigen-)Interessen geprägt sind.
 
Gerade in jüngster Zeit haben die Heil- und Hilfsmittelrichtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen zu einer sehr restriktiven Handhabung der Gewährung physikalischer Therapiemaßnahmen am Wohnort durch die Kostenträger geführt. Diese Richtlinien gelten nicht im Bereich der Kurortbehandlung, so dass oft erst hier die für den Patienten optimale Therapie in einer medizinisch sinnvollen Kombination angewandt werden kann.
 
Generell wäre es wünschenwert, wenn auch bei der Frage, ob eine wohnortnahe oder wohnortferne Behandlung für den jeweiligen Patienten zu bevorzugen ist, die individuellen Gegebenheiten und Probleme des Patienten ausschlaggebend sein könnten.
 
Der Faktor Zeit
Physikalische Therapie benötigt Zeit. Diese beschränkt sich nicht allein auf die Behandlung selbst, sondern umfasst auch die Zeiten für An- und Abreise, für An- und Auskleiden, für Vor- und Nachruhe. Jedem erfahrenen Physiotherapeuten ist die Bedeutung der Entspannung des Patienten bewusst. Ist ein Patient bei der Behandlung noch gehetzt und angespannt, so sind die Erfolgsaussichten der Therapie gering. Leider wird auch der Nachruhe oft nur allzu wenig Zeit zugemessen.
 
Die Wirkungen der meisten Physikalischen Behandlungen beruhen auf einem Reiz-Reaktionsgeschehen. Durch den individuell dosierten Reiz der Behandlung selbst soll eine Reizantwort provoziert werden. Durch wiederholte, an Intensität zunehmende Reize wird die Reaktion auf diesen Reiz trainiert, sodass der Körper lernt, auf diesen und ähnliche Reize der Umwelt adäquat zu reagieren. Das verbesserte Reaktionsvermögen ist dann in der Lage, Störungen von außen rascher zu begegnen und das Gleichgewicht des Körpers, das heißt die Homöostase, aufrecht zu erhalten.
 
Die Reizantwort des Körpers benötigt Zeit. Die Reaktion auf den Reiz der Behandlung kann am besten unter Ruhebedingungen erbracht und trainiert werden. Es ist offensichtlich, dass eine reaktive Hyperämie nach einem Kaltreiz in Ruhe und unter Kontrolle des Therapeuten geschehen sollte und nicht während des Ankleidens in der Kabine. Dieses extreme Beispiel sei zur Verdeutlichung der Problematik gestattet. Das Prinzip gilt jedoch ebenso bei anderen Therapieformen. Die Entspannung nach einer Massage sollte in Ruhe von dem Patienten gespürt werden. Der Patient sollte sich in der Zeit der Nachruhe auf die induzierten Veränderungen in seinem Körper konzentrieren können und diese bewusst wahrzunehmen versuchen. Diese Aufgabe kann nicht während der Autofahrt nach Hause oder zum Arbeitsplatz erfüllt werden.
 
Somit kann Zeitmangel in jeder Hinsicht die Erfolgsaussichten einer Physikalischen Therapie trüben. Diese Aussage gilt für die physikalische Therapie am Kurort ebenso wie für die Behandlung am Wohnort. Es ist jedoch offensichtlich, dass viele Patienten unter den gewohnten Anforderungen des Alltags diese medizinisch sinnvolle und notwendige Zeit nicht aufbringen können. Für diese Patienten bringt eine physikalische Therapie am Kurort den großen Vorteil mit sich, dass sie ohne Zeitnot durchgeführt werden kann. Zudem sind die „wohnortnahen“ Behandlungseinrichtungen oft nicht ohne großen Aufwand erreichbar. Obwohl das Versorgungsangebot einer wohnortnahen Physikalischen Therapie in den letzten Jahren erweitert wurde, bestehen gerade in ländlichen Gebieten noch immer zum Teil sehr lange Anfahrtswege.
 
Soziales Umfeld
Beruflicher und familiärer Stress können maßgeblich zur Krankheitsentstehung beitragen. Ebenso können sie die Erfolgsaussichten einer Behandlung beeinträchtigen. Für die Rehabilitation der Patienten, bei denen diese Komponenten bedeutsam sind, erscheint die „wohnortferne“ Behandlung am Kurort empfehlenswert. Die physikalische Therapie in entspannter und stressfreier Atmosphäre ist erfolgversprechender. Zumeist ist es der betreuende Hausarzt, der die sozialen und psychischen Probleme des Patienten am besten beurteilen und den Einfluss des sozialen Umfeldes abschätzen kann. Er sollte die Weichen für die Wahl des Behandlungsortes stellen. Es ist also auch hier die Wertung der individuellen Problematik, die wegweisend sein sollte.
 
Vorteilhafte Kombination mit ortsgebundenen Heilmitteln
Die Kurorte haben sich in den vergangenen Jahrzehnten zu kompetenten Zentren der Rehabilitation entwickelt. Die außergewöhnlichen therapeutischen Möglichkeiten an einem Ort rufen häufig die Bewunderung, zuweilen auch den Neid ausländischer, insbesondere USamerikanischer Kliniker hervor, die sich oft von den qualitativ hochwertigen und vergleichsweise kostengünstigen Behandlungsangeboten überrascht zeigen. Die Erweiterung der physikalischen Therapiemöglichkeiten hat maßgeblich dazu beigetragen. Sie haben inzwischen die ortsgebundenen Heilmittel, die das Spezifische eines Kurortes ausmachen und die Indikationen bestimmen, in ihrer – früher überragenden – Bedeutung zurückgedrängt. Dennnoch bestehen keine Zweifel, dass die physikalischen Behandlungen am Kurort durch die ortsgebundenen Heilmittel eine Aufwertung und eine höhere Effektivität erfahren können. Beispielhaft seien die Gymnastik im natürlichen Solewasser mit besonders ausgeprägtem Auftrieb, die Massage nach einem entspannenden Thermalbad oder die krankengymnastische Mobilisierungsbehandlung nach einer Peloidtherapie genannt. Die UV-Therapie in Kombination mit Solebädern wurde bereits erwähnt.
 
Zudem bieten die Kurorte ausgezeichnete klimatische und Umweltbedingungen, die zur Bewegungstherapie im Freien geradezu einladen. Die Terrainkur ist ein inzwischen etablierter Bestandteil der Kurortbehandlung. Der Aspekt der „Nähe zur Natur“ ist heute zwar überwiegend ideologisch besetzt, die klinischen Erfahrungen belegen jedoch die Bedeutung für den einzelnen Patienten. Die Naturnähe kann die Motivation für ein körperliches Training verbessern, die Naturerfahrung möglicherweise auch die positive Körpererfahrung unterstützen. Den Anforderungen der Natur gewachsen zu sein, zum Beispiel eine Anhöhe zu ersteigen, bedeutet für viele Patienten ein wichtiges Erfolgserlebnis, das wiederum zur Weiterführung der Therapiemaßnahmen motiviert.
 
Klare Entscheidungshilfen wünschenswert
Die physikalische Therapie am Kurort kann somit einige Vorteile gegenüber der wohnortnahen Therapie aufweisen. Es bleibt jedoch eine der vordringlichen Aufgaben der Kurortmedizin, die Unterschiede zwischen der Behandlung am Wohnort oder am Kurort herauszuarbeiten und wissenschaftlich zu belegen. Die Entscheidungskriterien über den Ort, an dem die physikalische Therapie stattfinden sollte, sind bislang noch sehr subjektiv und beruhen weitgehend auf der persönlichen Erfahrung des Beurteiles. Hier wären wissenschaftlich abgesicherte Entscheidungshilfen wünschenswert. Sie werden auch für die Diskussion mit den Kostenträgern notwendig sein.

Die deutschen Kurorte und ihre natürlichen Heilmittel

Mineralheilbäder und Mineral- und Moorheilbäder

Moorheilbäder, Indikationen

Heilklimatische Kurorte

Seeheilbäder und Seebäder

Kneippheilbäder und Kneippkurorte

Prinzipien der Kurortbehandlung

Grundlagen der zeitgemäßen Behandlung in den Heilbädern und Kurorten

Kriterien des Kurerfolgs

Einführung in Chemie und Charakteristik der Heilwässer und Peloide

Therapie mit Ortsspezifika

Physikalische Therapie am Kurort

Sport im Kurort

Diätetik

Trinkkuren

Thalassotherapie

Das Kneippsche Naturheilverfahren

Die Moortherapie

Die Kompaktkur

Wellness im Kurort

Kur und Kurseelsorge

Angebote

Bildnachweise

© Peter Freitag / pixelio.de