Die deutschen Kurorte und ihre natürlichen Heilmittel

Kriterien des Kurerfolgs

Prof. Dr. med. Karl-Ludwig Resch

Die sprichwörtliche „Kostenexplosion“ im Gesundheitswesen entpuppt sich bei genauerer Analyse nicht als Folge sprunghaft steigender Preise für definierte Leistungen, sondern zu allererst als Folge eines rapide zunehmenden Bedarfs. Dies hat seine Ursache vornehmlich in demographischen Veränderungen: der Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung nimmt stetig zu, und immer mehr Menschen erreichen ein immer höheres Alter. Schätzungen gehen davon aus, dass sich in den nächsten 20 bis 30 Jahren der Anteil der über 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung (derzeit etwa 18 %) verdoppeln wird. Damit verbunden ist eine absolute Zunahme vor allem chronischer Erkrankungen, von denen nicht wenige regelhaft mit dem Attribut „altersbedingt“ versehen werden. Multimorbidität ist ein weiteres, im Zunehmen begriffenes Phänomen. Vor diesem Hintergrund ist der Aspekt der Kuration weiterhin ein therapeutisches Ziel von zentraler Bedeutung, wird jedoch bei realistischer Betrachtung zunehmend oft von vorne herein unerreichbar bleiben.

Kardinalproblem chronische Erkrankungen

Bei allen Problemen mit Kostensteigerungen, die der „medizinische Fortschritt“ im Akutbereich verursacht, ist zu berücksichtigen, dass die Bezahlbarkeit des Gesundheitssystems in Zukunft vor allem davon abhängt, ob es gelingt, das Problem der chronischen Erkrankungen besser in den Griff zu bekommen: inzwischen kommen bis zu 80 % aller Arztkontakte wegen chronischer Erkrankungen zustande.
 
Die daraus resultierenden, besonderen Herausforderungen für das Gesundheitssystem sind mit das zentrale Thema des neuesten Gutachtens des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion. Dort werden die „Verschiebung der Bevölkerungsstruktur mit einer Zunahme von älteren und multimorbiden Patienten“ und die „Veränderung des Krankheitsspektrums in Richtung langwieriger, chronisch-degenerativer Krankheitszustände“ als „grundlegende Determinanden der Gesundheitsausgaben“ identifiziert. Band II (Qualität und Versorgungsstrukturen) beschäftigt sich sogar fast ausschließlich mit notwendigen Entwicklungen im Gesundheitswesen, um ebendiese Herausforderungen in den Griff zu bekommen. Wie schon im vorhergehenden Gutachten aus dem Jahr 2001 wird darauf hingewiesen, dass unser Gesundheitssystem in seiner gewachsenen Form nicht dazu geeignet ist, die Anforderungen in Zukunft adäquat zu meistern: „Die tradierte Versorgungskultur und -struktur mit ihrer systemimmanenten Dominanz von Akutmedizin, Organfixierung und Expertenmeinungen behindert vor allem die angemessene Versorgung chronisch Kranker, weil sie zur Vernachlässigung von Prävention, Rehabilitation, psychischen Aspekten, Patientenpartizipation und Evidenzbasierung führt und dadurch mittelbar Fehlversorgung bzw. Behandlungsfehler und -schäden begünstigt“.
 
Bereits vor einigen Jahren hatte der langjährige Vorsitzende des Sachverständigenrates, Schwartz, u. a. an Hand von Zahlen des Statistischen Bundesamtes vorgerechnet, dass sich durch eine bessere, sprich gezieltere Therapie chronischer, verhaltensmodifizierbarer Erkrankungen bis zu einem Drittel der derzeitigen Behandlungskosten, damals etwa 12,5 Milliarden Euro im Jahr einsparen ließen.
 
Voraussetzung für eine bedarfsgerechte Versorgung sind aber geeignete Forschungsstrukturen und -ansätze, die, so Schwartz, ebenfalls fehlen. So ist bis heute, unabhängig von der Therapierichtung, die sog. Versorgungsforschung im Vergleich zu ihrer Bedeutung innerhalb des Gesundheitswesens massiv unterrepräsentiert.
 
Der Hintergrund für einen (notwendigen) Paradigmenwechsel, der von den etablierten Anbietern von Gesundheitsleistungen selbst wohl am wenigsten initiiert werden dürfte, erscheint aber auch für Außenstehende nicht einfach nachzuvollziehen: „Der Gedanke, sterben zu müssen, weil die lebensrettende Operation zu wenig Lebenszeit pro DM einbringt, läßt die meisten Leute erschaudern, auch wenn sie selbst kaum je in eine solche Situtation geraten dürften. Also akzeptieren die Leute, dass für dramatische Maßnahmen viel Geld ausgegeben wird, und nehmen in Kauf, mit erheblich höherer Wahrscheinlichkeit an einem Unfall oder einer Krankheit zu sterben, zu deren Verhütung das Geld dann nicht mehr gereicht hat“.
 
Es ist unmittelbar einleuchtend, dass für chronische Erkrankungen andere Maßstäbe als Erfolgskriterien herangezogen werden müssen. Und neben medizinischen Aspekten wird die Frage nach einem möglichst effizienten Einsatz der vorhandenen begrenzten Ressourcen immer mehr zum zentralen Thema.

Prioritäten aus Patientensicht

Bei chronischen Erkrankungen stehen ganz andere Behandlungsziele und Erfolgskriterien im Vordergrund als bei akuten Erkrankungen, nämlich die Nachhaltigkeit des Therapieerfolges, die Verhinderung/Verlangsamung der Krankheitsprogression und Lebensqualität bzw. Leidensdruck der Betroffenen. Es kann davon ausgegangen werden, dass Leidensdruck und als schlecht empfundene Lebensqualität heute die wohl wichtigste Triebfeder für die Nachfrage nach Leistungen im Gesundheitswesen darstellen.
 
Von der WHO wurde neben der gängigen klinischen Systematik der Erkrankungen, die auf nosologischen Aspekten von Erkrankungen aufbaut (ICD, International Classification of Diseases), schon vor mehr als 20 Jahren ein Klassifikationssystem entwickelt, das wesentlich auf dieser patientenzentrierten, individuellen Betrachtungsweise basiert (ICIDH, International Classification of Impairments, Disabilities and Handicaps). Im Mai 2001 wurde auf der 54. World Health Assembly der WHO ein umfassend revidiertes und konzeptionell erweitertes Konzept der ICIDH unter dem Acronym ICF (International Classification of Functioning, Disability, and Health) verabschiedet (resolution WHA54.21).
 
Das wichtigste Ziel der ICF ist, eine gemeinsame Sprache für die Beschreibung der funktionalen Gesundheit zur Verfügung zu stellen, um die Kommunikation zwischen Fachleuten im Gesundheits- und Sozialwesen, insbesondere in der Rehabilitation, sowie den Menschen mit Beeinträchtigungen ihrer Funktionsfähigkeit zu verbessern.
 
Eine Person ist demnach dann funktional gesund, wenn vor ihrem gesamten Lebenshintergrund (Konzept der Kontextfaktoren)
 
  • ihre körperlichen Funktionen (einschließlich des mentalen Bereichs) und Körperstrukturen allgemein anerkannten Normen entsprechen (Konzepte der Körperfunktionen und –strukturen),
  • sie nach Art und Umfang das tut oder tun kann, wie es von einem Menschen ohne Gesundheitsproblem erwartet wird (Konzept der Aktivitäten),
  • sie ihr Dasein in allen Lebensbereichen, die ihr wichtig sind, in der Art und dem Umfang entfalten kann, wie es von einem Menschen ohne Schädigungen der Körperfunktionen/-strukturen und Aktivitätseinschränkungen erwartet wird (Konzept der Teilhabe).
Der „gesamte Lebenshintergrund einer Person“ ist dabei abhängig von Umweltfaktoren (Faktoren der materiellen, sozialen und verhaltensbezogenen Umwelt) und personbezogenen, persönlichen Faktoren (Eigenschaften und Attributen der Person wie z. B. Alter, Geschlecht, Ausbildung, Lebensstil, Motivation, genetische Prädisposition). Kontextfaktoren (Umweltfaktoren, personbezogene Faktoren) können sich auf die funktionale Gesundheit sowohl positiv (Förderfaktoren) als auch negativ auswirken (Barrieren) und sind deshalb für die Beurteilung der funktionalen Gesundheit einer Person von essentieller Bedeutung.
 
Das bio-psycho-soziale Modell, das der ICIDH zu Grunde lag, wurde mit der ICF erheblich erweitert und damit der Lebenswirklichkeit Betroffener besser angepasst.
 
Während die ICIDH in Deutschland nur sehr zögerlich angenommen wurde, scheint ihre Weiterentwicklung, die ICF als Maßstab auch für die Erfolgsbeurteilung zum Maß der Dinge zu werden: Im Sozialgesetzbuch neun (SGB IX – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen) wurden wesentliche Aspekte der ICF unter Berücksichtigung der in Deutschland historisch gewachsenen und anerkannten Besonderheiten aufgenommen. Bei Drucklegung dieses Werkes lag den Spitzenverbänden ein Entwurf des Bundesausschusses Ärzte/Krankenkassen über die künftigen „Spielregeln“ im Bereich Rehabilitation zur Kommentierung vor, der sich exklusiv auf die ICF stützt.
 
Das Primat der Bedeutung der subjektiven Wahrnehmung und Bewertung eines gesundheitlichen Problems durch den Patienten hat sich damit wohl endgültig im Bereich der chronischen Erkrankungen durchgesetzt, nachdem in den letzten Jahren in der medizinischen Forschung international bereits zunehmend eine Rückbesinnung auf den „klinischen Endpunkt“ zu beobachten war, z. B. an einer bemerkenswerten Zunahme der Bemühungen, geeignete „Messinstrumente“ für diese sog. Outcome- Forschung zu entwickeln. Da es bei einem Großteil der Patienten subjektiv empfundene Störungen, Beschwerden, Schmerzen etc. sind, die sie einen Arzt aufsuchen lassen bzw. woran sie den Erfolg der therapeutischen Bemühungen bemessen, ist es nur konsequent, diese subjektive Wertung in den Mittelpunkt der Erfolgsbeurteilung zu stellen und Lebensqualität nicht länger als einen „weichen“ Zielparameter von untergeordneter Aussagekraft zu betrachten: „Die Verbesserung der Lebensqualität ist nicht nur ein wichtiger Indikator des medizinischen Erfolges; sie ist das einzig beabsichtigte Therapieziel bei fast allem was wir tun in der Medizin“.
 
Inzwischen wurden auch Messinstrumente entwickelt, die es ermöglichen, über die Effektivität einer therapeutischen Maßnahme hinaus auch Kosten-Nutzen-Aspekte abzubilden, etwa durch sog. QALYs (Quality Adjusted Life Years), Dalys (Disability Adjusted Life Years). Dabei wird ermittelt, wieviel zusätzliche Lebenszeit bei einer bestimmten Lebensqualität sich durch eine therapeutische Maßnahme erzielen lässt.

Kurortmedizinisches Rationale

Chronische und/oder chronisch progrediente Erkrankungen stehen im Mittelpunkt vieler Kur- und Rehabilitationsmaßnahmen. Ein Teil betrifft chronische Erkrankungen im engeren Sinn wie z. B. allergische Erkrankungen oder Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises.
 
Bei chronisch degenerativen Erkrankungen wird der Krankheitscharakter bisweilen in Frage gestellt und von Symptomen des natürlichen, ggf. eines frühzeitigen Alterungsprozesses gesprochen. Unzweifelhaft ist jedoch die klinische Relevanz der daraus resultierenden Symptome, allen voran Schmerz und funktionelle Beeinträchtigung.
 
Schließlich sei die komplexe Problematik somato-psycho-sozialer Defizite erwähnt, deren Bedeutung schon lange anerkannt ist (vgl. den römischen Sinnspruch von der „mens sana in corpore sano“).
 
Zentrales Therapieziel ist dabei über die Linderung von Symptomen hinaus das Training (Abhärtung, Coping, Konditionierung, Empowerment) zur Bewältigung dieser meist primär nicht eliminierbaren Faktoren, mithin eine Verbesserung der Reaktion des Individuums auf entsprechende (pathogene) Reize und Stressoren.
 
Damit lassen sich auch grundlegende konzeptionelle Unterschiede zur klassischen naturwissenschaftlichen (nosologisch determinierten) Intervention mit typischerweise monokausaler Ursache-Wirkungsbeziehungen erkennen: das therapeutische Rationale im deutschen Kur und Rehabilitationswesen entspricht seit jeher dem gleichen Ansatz, der auch der ICF zu Grunde liegt. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass eine ganze Reihe von Ländern, in denen es keine vergleichbare Tradition gibt, diese medizinische Entität zunehmend – und mit Erfolg – in ihr jeweiliges Gesundheitswesen integrieren, und sich dabei wesentlich am „deutschen Modell“ orientieren. So verdreifachten z. B. die USA allein zwischen 1985 und 1995 ihre Kapazität an Betten im Rehabilitationsbereich.
 
Viele chronische Erkrankungen sind Folgen von Fehlverhalten oder werden dadurch begünstigt, wobei der jeweils betroffene Bereich typischerweise als „persönliche Schwachstelle“ ohne einheitlichen Hintergrund zu betrachten ist. Die heutige Medizin behandelt typischerweise (legt also „Hand an“), und wirkt dabei von außen aktiv auf pathologische Veränderungen ein, während dem Patient eine passive Rolle zugedacht ist (patiens = erduldend). Viele chronische Erkrankungen können jedoch nur dann im angestrebten Umfang beeinflusst werden, wenn der Patient aktiv im Mittelpunkt seiner Behandlung steht und Befähigung („Empowerment“) bzw. Umstimmung auf mehreren Ebenen (körperlich, geistig, seelisch) zentrale Ziele darstellen. Dies hat sich inzwischen (parteiübergreifend) als eine der zentralen gesundheitspolitischen Forderungen für die Zukunft unseres Gesundheitswesens etabliert. Es liegt unmittelbar auf der Hand, dass dabei nicht selten eine zeitlich befristete Herausnahme aus dem gewohnten Milieu erforderlich bzw. erfolgversprechend ist.
 
Es ist zwanglos nachvollziehbar, dass in den genannten – und in vielen anderen – Bereichen die therapeutische Effizienz nicht vorrangig, und schon gar nicht ausschließlich, am kurzfristigen Therapieerfolg, sondern vielmehr an den längerfristigen physischen, psychischen und sozialen Konsequenzen zu messen ist. Derartige Untersuchungen aber sind methodisch komplex und langdauernd – und damit teuer.
 
Gesundheitliche Probleme sind stets eine Realität, was Versorgungsansprüche angeht, ebenso wie die Kosten, die sie verursachen – auch wenn die Medizin im Einzelfall noch weit entfernt ist vom Verständnis der zugrundeliegenden Pathomechanismen. Es gibt klare Vorstellungen, dass solche Probleme auch ohne Vorliegen eines validen Erklärungsmodells erfolgreich behandelbar sind und dass auch auf dieser Basis erfolgreich Untersuchungen zur Verbesserung der Versorgungsqualität gestaltet werden können.
 
Erfreulicherweise nimmt die Zahl derartiger (oft beeindruckend erfolgreicher) Studien in jüngster Zeit rapide zu. Betrachtet wird dabei typischerweise im Rahmen praxisnaher Untersuchungen („pragmatic trials“) der Outcome nach einer längeren Nachbeobachtungszeit (sog. „Follow-up“), statt eines technischen Surrogatparameters im Rahmen einer definierten, isolierten Intervention steht der patientenzentrierte Outcome umfassender Behandlungskonzepte („complex regimen“ oder „comprehensive therapy“) im Mittelpunkt.

Wie lässt sich Kurerfolg definieren?

Die Kriterien zur Bewertung der Effektivität wie der Effizienz (also etwa der Kosten-Effektivität) einer akutmedizinischen Maßnahme ergeben sich von selbst, wenn das Therapieziel die Genesung des Patienten ist. Bei der Behandlung von Hautwunden wäre dies etwa die Zeit bis zur Wundheilung. Auch lässt sich die Wirksamkeit kausaler und einfach symptomatischer Interventionen unschwer beurteilen, z. B. durch Messung des Zielparameters Blutdruck in der Behandlung mit blutdrucksenkenden Medikamenten.

Ungleich schwieriger ist die Situation bei komplexen Krankheitsgeschehen, etwa den weiter oben angeführten Beispielen. Hier ist die Situation geprägt von komplexen Therapieschemata bzw. nicht-kausalen Therapien, es gilt: Erfolg ist relativ. Je nach Standpunkt existieren parallel unterschiedliche Interessen bzw. Prioritäten.
 
  • Aus Sicht des Patienten ist in aller Regel die subjektiv wahrnehmbare Veränderung am Ende einer Therapie/Kur/Rehabilitation wesentliches Kriterium für die Bewertung des Therapieerfolgs.
  • Der behandelnde Arzt wird den Erfolg meist eher an klinischen Parametern wie Leistung, Beweglichkeit, Entzündungsaktivität etc. festzumachen versuchen. Ebenso wie der Patient wird er sein Urteil am Ende der Therapiemaßnahme fällen.
  • Die Krankenkasse muss den Kosten, sowohl denen der durchgeführten Therapie wie denen, die durch die weitere Nachfrage nach Leistungen seitens des Patienten entstehen, oberste Priorität einräumen, nicht zuletzt, um wettbewerbsfähig zu bleiben (das Konzept der Finanzierung der sog. Chronikerprogramme oder DMPs über den Risikostrukturausgleich und damit außerhalb der Budgets der einzelnen Kassen zielt mithin darauf ab, „therapeutische Investitionen“ für Patienten mit chronischen Erkrankungen vor diesem Hintergrund erst wirtschaftlich möglich zu machen).
  • Den Rentenversicherungsträger interessiert erfahrungsgemäß in erster Linie der Einfluss der therapeutischen Maßnahme auf den Erhalt bzw. die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit (mit knapper werdenden Budgets scheint dabei allerdings bedauerlicherweise eine Tendenz weg von der längerfristig rentablen Investition zur kurzfristigen Kosteneffektivität zu beobachten zu sein).
  • Unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten müsste für den Arbeitgeber die durchschnittliche Leistungsfähigkeit über das Jahr als im Vergleich zu den (statistisch einfacher kalkulierbaren) Arbeitsunfähigkeitstagen wesentlich bedeutsamere Variable im Zentrum des Interesses stehen.
  • Grundsätzlich wären in diesem Zusammenhang auch volkswirtschaftliche Aspekte interessant, besteht doch ein Zusammenhang zwischen Leistungsfähigkeit und Produktivität, mithin auch zur volkswirtschaftlichen Prosperität.
Wirksamkeit (spezifischer Effekt einer definierten Intervention, „efficacy“) und vor allem Effektivität (Gesamteffekt, „effectiveness“) scheinen demnach wesentlich abhängig vom Interessensstandpunkt, was bei der Wahl des Erfolgskriteriums bedacht werden muss. Aus der Aufstellung geht auch hervor, dass es schlechterdings unmöglich ist, in einer einzigen Studie mit vertretbarem Aufwand alle potentiellen Positionen gleichzeitig zu bedienen.

Die vom Patienten in aller Regel subjektiv empfundene Wirksamkeit (= Effektivität) der Kur wird selbst von vehementen Kritikern der Kur nicht bestritten. Wie anders sollte das bisweilen vorgebrachte Argument des „Urlaubscharakters“ einer Kur gewertet werden, unterstellt man, dass der Begriff Urlaub landläufig mit vielfältigen positiven Assoziationen belegt ist. Wer eigene Kurerfahrung hat, weiß übrigens um den grundsätzlichen Unterschied zwischen einer medizinischen Kur (nach der aktuellen Terminologie des SGB V: ambulante Vorsorgeleistung in anerkannten Kurorten) und einem Urlaub. Die Vermengung der Begriffe durch Außenstehende unterstreicht damit, wie weit die mit einer Kur assoziierte Gesamtwirkung über die einfach fassbaren und dokumentierbaren medizinischen „Immediateffekte“ hinausgeht. Es erscheint geradezu paradox, die somit über diese therapiespezifischen Effekte hinaus als existent und wesentlich akzeptierten unspezifischen Effekte im gleichen Atemzug als Argument gegen die Kur ins Feld zu führen, während die Bedeutung unspezifischer Effekte in der medizinischen Forschung immer mehr in den Blickpunkt des Interesses gerät.
 
Darüber hinaus werden für die Kur bedeutsame positive Langzeitwirkungen, sog. Hafteffekte, postuliert. Wie in anderen Bereichen der Medizin auch ist die Zahl der verfügbaren Studien zu einer solchen, nur unter großen Schwierigkeiten quantitativ erfassbaren Zielgröße derzeit noch begrenzt. Die vorliegenden Ergebnisse sind mehr als ermutigend, haben aber aus rational schwer nachvollziehbaren Gründen bislang nur wenig Beachtung gefunden.
 
Ein weiterer, potentiell gesundheitspolitisch wie -ökonomisch immens bedeutsamer Gesichtspunkt ist die Rolle der Kur in der Prävention. Über die Rehabilitation hinaus, deren Ziele auf die möglichst greifbare Zukunft des Patienten ausgerichtet sind, fokussiert die Prävention auch auf das langfristige Erkrankungsschicksal/-risiko. In der Primärprävention stehen dabei Verhaltensmodifikationen (im weitesten Sinne) von Personen mit erhöhtem Erkrankungsrisiko im Vordergrund, in der Sekundärprävention von Personen mit einem einschlägigen Erstereignis. Es drängt sich die Annahme geradezu auf, dass die bekannten und beschriebenen Randbedingungen der Kur hier eine ideale Voraussetzung für präventive Maßnahmen sein dürften.

Handfeste Daten zur Wirksamkeit wie zur Kosteneffektivität primärpräventiver Maßnahmen sind, zumindest soweit sie nicht auf einen klar definierbaren „Risikofaktor“ mit kurzfristiger klinischer Manifestationsperspektive fokussieren,aus finanziellen und methodischen Gründen (es wären sehr große Kollektive über sehr lange Zeiträume prospektiv zu beobachten) weltweit kaum verfügbar. Demgegenüber ist die medizinische wie ökonomische Bedeutung sekundärpräventiver Maßnahmen in vielen Bereichen der Medizin eindrucksvoll belegt. In der letzten Zeit mehren sich die Anzeichen, dass die Prävention langsam ernstgenommen und möglicherweise mittelfristig als wesentliche Komponente im Gesundheitswesen akzeptiert wird, obwohl derartige Aktivitäten keinen kurzfristigen Erfolg zeitigen (können), die Wahrscheinlichkeit eines solchen aber (noch) häufig zentrales Kriterium für konkrete Entscheidungen ist (siehe oben). Neben dem schon zitierten Gutachten zu den Einsparpotenzialen durch bessere Versorgung chronisch Kranker machen auch die beiden jüngsten Gutachten des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen die Prävention zum zentralen Thema. In einem richtungsweisenden Papier hat der Deutsche Heilbäderverband Anfang 2003 zu Prävention und Gesundheitsförderung in deutschen Heilbädern und Kurorten Position bezogen. Im Kontext mit vielen weiteren, ähnlich lautenden Statements aus Politik und Wissenschaft lässt sich daraus zwanglos eine erhebliche Zunahme der Bedeutung dieses Medizinbereichs für die nächsten Jahre erwarten, obwohl abzuwarten bleibt, inwieweit nicht „Sachzwänge“ die politisch propagierte Etablierung der Prävention als „vierte Säule im Gesundheitswesen“ – geplant ist ein eigenes SGB XII – torpedieren werden.

Was sind die entscheidenden Fragen der kommenden Jahre?

Obwohl sich derzeit der Eindruck aufdrängt als hätten bei uns zurzeit Bemühungen um kurzfristige Schadenbegrenzung eindeutig die Oberhand gegenüber allenthalben als notwendig erachteten grundsätzlichen strukturellen Veränderungen des Gesundheitswesens, hat sich zumindest im Bereich der Leistungsvergütung bereits eine fundamentale Veränderung vollzogen: Mitte des Jahres 2003 rechneten 2/3 aller Akutkrankenhäuser nach dem neuen System der Fallpauschalen ab (DRGs, Diagnosis related groups), was nach Einschätzung des Sachverständigenrates „nach ausländischen Erfahrungen ... mit deutlichen Mehrbelastungen der ambulanten und stationären, ärztlichen und pflegerischen Nachsorgestrukturen (nach SGB V wie auch nach SGB IX und XI)“ führen wird. Die damit verbundene Forderung bzw. Feststellung („diese Strukturen müssen schnittstellengenau, qualitätsbewusst und synchron weiterentwickelt werden, um Nachteile für Patienten zu vermeiden. Diese Aspekte werden in Deutschland noch kaum beachtet“) hat wohl die mittlerweile zumindest grundsätzlich erfolgte Einführung von DMPs nicht unerheblich beeinflusst. Als weitere Konsequenz dürften die zunehmende Befassung mit dem Thema Integrierte Versorgung zu werten sein wie die zunehmenden Aktivitäten in Richtung HMOs (Health Maintainence Organizations) oder Managed Care, allesamt Modelle, angesichts der nicht zuletzt durch die chronische Erkrankungen massiv ansteigenden Krankheitskostenlast neue Wege zu suchen und einzuschlagen.
 
Mit fallenden fiskalischen Schranken und der Einführung des Euro als gemeinsame europäische Binnenwährung ist über die allgemeinen Trends der zunehmenden Globalisierung der Märkte in vielen Bereichen eine „Europäisierung“ bislang nationaler Besonderheiten zu erwarten. Für das deutsche Kur- und Rehabilitationswesen kann dies die existenzielle Gefahr des Verlustes dieser traditionellen therapeutischen Entität bedeuten im Sinne einer Angleichung an die Verhältnisse in Ländern der EU, in denen es Vergleichbares nicht gibt (etwa Großbritannien oder Schweden). Es wäre dann abzusehen, dass eine zu weit gehende Verlagerung des Angebots der Kurorte in den Bereich des Tourismus vor allem medizinisch, aber auch ökonomisch keine befriedigende Kompensation erbringen dürfte.
 
Umgekehrt ist aber durchaus auch vorstellbar, dass eine adäquate Vermarktung typischer mitteleuropäischer Kurund Rehabilitationskonzepte (wenn möglich unter dezidiertem Einschluss der oben diskutierten Präventionsgedanken) mit validen quantitativen Aussagen zur Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit zu einer Renaissance dieses medizinischen Sektors mit dann klaren Standortvorteilen in Deutschland führen könnte. Conditio sine qua non ist sicherlich die adäquate wissenschaftliche Aufbereitung der Problematik in einer der gegenwärtigen Medizinwissenschaft entsprechenden und über den Bereich der Balneologie hinaus nachvollziehbaren und akzeptierten Form.
 
Wie oben angesprochen, wird die gesundheitspolitische Entwicklung jetzt und in absehbarer Zukunft wesentlich bestimmt von einem steigenden Bedarf an medizinischen Leistungen ohne parallele Zunahme der verfügbaren Ressourcen. Das Schlagwort der Rationierung, also der Anpassung des Angebots an die Ressourcen statt an die Nachfrage, scheint die Zukunft im Gesundheitswesen zu bestimmen. Gerade in Ländern, die damit schon einschlägige Erfahrung haben (in England ist z. B. der Erstzugang zur Dialyse auf Patienten im Alter unter 60 Jahren beschränkt), setzt sich inzwischen aber die Erkenntnis durch, dass ein intelligenteres Procedere erforderlich ist („smart rationing“). In diesem Zusammenhang wird oft von Priorisierung gesprochen, womit eine bedingte Anpassung des Leistungsangebotes an den Bedarf im Sinne einer Hierarchisierung nach der medizinischen Notwendigkeit gemeint ist – mit der möglichen Konsequenz einer Zweigliederung des Versorgungssystems in eine durch die Sozialversicherungen zu gewährleistende Grundversorgung und eine durch private Zusatzversicherungen abzudeckende darüber hinausgehende Deckung von Gesundheitsleistungen (etwa Zahnersatz, Heil- und Hilfsmittel etc.).

Insgesamt gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass marktwirtschaftliche Strukturen im Gesundheitswesen stark an Gewicht gewinnen werden. Damit wird nicht zuletzt das reglementierte „Einkaufen“ von medizinischen Leistungen („purchasing“) in einer gelenkten Form der medizinischen Fürsorge („managed care“) immer wahrscheinlicher zu einem wichtigen Aspekt der Zukunft im Gesundheitswesen. Neben den potenziellen Konsequenzen für den einzelnen Patienten ist vor allem eine starke Zunahme des Wettbewerbs zu erwarten, wobei die Frage der Effizienz der einzelnen Maßnahmen, also des Verhältnisses von Kosten und Nutzen/Benefit von hervorragender Bedeutung sein dürfte.
 
Einerseits wird sich dies im Rahmen eines medizinisch definierten Therapiezieles in zunehmender Konkurrenz zwischen verschiedenen therapeutischen Optionen manifestieren, andererseits zwischen verschiedenen möglichen Therapiezielen unter dem Motto „value for money“. Die größte medizinwissenschaftliche Fachzeitschrift der Welt, das Journal of the American Medical Association (JAMA), veröffentlichte dazu vor wenigen Jahren erstmals „Spielregeln“ für die Publikation von Analysen zur Kosten-Effektivität.
 
Die Frage der Kosteneffektivität ist in jedem Falle mittelfristig eine für die Stabilität des Gesundheitswesens vital bedeutsame Frage, wobei abzuwarten bleibt, ob über die diskutierte Beurteilung einer konkreten Situation hinaus längerfristige Aspekte in die Bewertung mit einbezogen werden, namentlich die gesamtwirtschaftliche Kosten/Nutzen-Relation. Werden diese „indirekten“ Kosten stärker berücksichtigt, wird mittelfristig die Attraktivität des kurörtlichen Angebots für das Gesundheitswesen erheblich steigen. Um dies vorherzusagen, braucht man wahrlich kein Prophet zu sein, es genügt eine emotionslose Bewertung der Tatsachen.

Die deutschen Kurorte und ihre natürlichen Heilmittel

Mineralheilbäder und Mineral- und Moorheilbäder

Moorheilbäder, Indikationen

Heilklimatische Kurorte

Seeheilbäder und Seebäder

Kneippheilbäder und Kneippkurorte

Prinzipien der Kurortbehandlung

Grundlagen der zeitgemäßen Behandlung in den Heilbädern und Kurorten

Kriterien des Kurerfolgs

Einführung in Chemie und Charakteristik der Heilwässer und Peloide

Therapie mit Ortsspezifika

Physikalische Therapie am Kurort

Sport im Kurort

Diätetik

Trinkkuren

Thalassotherapie

Das Kneippsche Naturheilverfahren

Die Moortherapie

Die Kompaktkur

Wellness im Kurort

Kur und Kurseelsorge

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