Die deutschen Kurorte und ihre natürlichen Heilmittel

Grundlagen der zeitgemäßen Behandlung in den Heilbädern und Kurorten

Dr. med. Christoph Kirschner

Die Kurortmedizin umfasst ein in Jahrhunderten bewährtes komplexes System naturgemäßer Heilmethoden basierend auf der Anwendung ortsgebundener Heilmittel. Sie trainiert mit ihrer Reiz-Reaktionsbehandlung Kräfte, Fähigkeiten und Potenzen (Heil- und Abwehrkräfte) zur Erhaltung, Förderung und Wiederherstellung individueller humanökologische Gleichgewichte abgestimmt auf Belastungen in Beruf, Mitwelt und Alltagswelt. Eine solche ganzheitliche Adaptationstherapie (Gesundheitsmedizin) sichert und fördert die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit und eine selbstbestimmte Autonomie im Alter und bei chronischen Erkrankungen. Kurortmedizin ist eine besondere, kulturell geprägte Form der Präventions- und Rehabilitationsmedizin und der Gesundheitsförderung, Fachgebiete mit hoher gesundheitspolitischer Bedeutung in der Entwicklung unserer Zivilisation.
Heilbäder und Kurorte waren in der Geschichte immer einerseits ein Spiegel der zeitgenössischen Medizin und andererseits ein Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse in den verschiedenen Epochen mit erkennbaren Differenzierungen in den verschiedenen Ländern Europas und erst recht unter dem Einfluss verschiedener Kulturen. Das Methodenspektrum der Kurortmedizin bewährte sich sowohl nach den Erfahrungen der Patienten als auch der medizinischen Wissenschaft besonders bei der Behandlung zahlreicher chronischer Krankheiten. In den Grenzen des medizinischen Wissens ihrer Zeit erfüllten sie gerade auch in Deutschland schon immer Aufgaben, die wir heute mit Gesundheitsförderung, Vor- und Nachsorge oder mit Prävention und Rehabilitation genauer bezeichnen. Auch die traditionellen Elemente einer Steigerung der allgemeinen Lebensqualität und von Lebenskräften durch die Angebote des Kurortes begegnen uns heute wieder in einem wachsenden Gesundheitstourismus unter den Zielwerten von Wellness und Fitness.

Entwicklung der Kurortmedizin in der Gegenwart

Im raschen und dynamischen Wandel von Medizin und Gesellschaft hat sich die traditionelle Kur, besonders in Deutschland, in den letzten 50 Jahren grundlegend verändert. Die Kur ist heute mehr als nur eine „Kurmittelkur“ oder „Badekur“, abgestimmt auf „Kurleiden“. Die Kurortmedizin hat die Kur zu einer systematisierten, komplexen Allgemeintherapie entwickelt. Die wissenschaftliche Erhellung der Wirkprinzipien der traditionellen Kurmethoden als übende Verfahren eines Funktions- und Regulationstrainings, der Panoramawandel der Krankheiten zu chronischen Krankheiten, die demographische Entwicklung der Altersstrukturen, die zivilisatorischen Veränderungen des Lebensstils und der Arbeitsformen und die Veränderungen der versicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen für die Durchführung von Kuren in der Kostenexpansion im Gesundheitswesen haben aus der traditionellen Kur, die zunächst beschränkt war auf die Anwendung ortsgebundener Kurmittel, spezialisierte Verfahren der Prävention und der Rehabilitation einschließlich der Frührehabilitation durch Anschlussheilverfahren gemacht.
 
Die Ausrichtung der modernen Kurortmedizin wird also heute durch besondere Aufgaben im Gesundheitswesen und in der Gesellschaft bestimmt. Es sind Prävention und Rehabilitation. Bei der Bewältigung dieser fachspezifischen Aufgaben haben trainierende und aktivierende Therapiemethoden von der Balneotherapie und Klimatherapie bis hin zu den Bewegungs- und Sporttherapien einen hohen Stellenwert. Der Kurort ist heute ein vielgestaltiges biomentales Trainings- und Gesundheitszentrum und nicht nur eine natürliche Apotheke für ortsgebundene Kurmittel. Im Selbstverständnis der Heilbäder und Kurorte erfolgte die Begründung der Kur zunächst vorwiegend durch die besonderen ortsspezifischen Kurmittel, heute im Fortschritt des Wissens liegt das Wesen der Kur in den aktivierenden und trainierenden Kurmethoden. Trotz der großen, äußeren Verschiedenheit der einzelnen Therapieverfahren liegt die Klammer, die alle Kuren kennzeichnet, in dem durchgehenden Therapieprinzip der Übung zur Verbesserung der Adaptation. Kur ist die Methode; Rehabilitation, Kuration chronischer Krankheiten, Prävention, Gesundheitsförderung und Vermeidung der Pflegebedürftigkeit im Alter sind die Ziele der modernen Kurortmedizin. Die Begriffe umschreiben auch die Indikationen für Kurbehandlungen. Diese ambulanten oder stationären Heilmaßnahmen werden in verschiedenen, spezialisierten Formen eines heute gegliederten Kursystems angeboten.

Gesundheit ein humanökologisches Gleichgewicht

Gesundheit ist nach wissenschaftlicher Einsicht kein Guthaben, das der Mensch bei der Geburt mitbekommen hat und je nach Konstitution wechselnd schnell im Laufe des Lebens verbraucht (statischer Gesundheitsbegriff). Gesundheit ist humanökologisch ein Gleichgewichtszustand in jedem Lebensabschnitt zwischen körperlichem und seelischem Leistungsvermögen und den Anforderungen von Umwelt und Mitwelt (dynamischer Gesundheitsbegriff). Dieses Gleichgewicht wird wesentlich beeinflusst von der Innenwelt des Menschen. Erst im Rahmen dieses Gesundheitsbegriffes bekommen die Worte Gesundheitsförderung, Gesundheitstraining, Gesundheitsbildung und -erziehung einen Sinn.

Kurortmedizin eine integrative Gesundheitsmedizin

Systemtheoretisch formuliert entspricht der Mensch einem offenen, bio-psycho-sozialem System mit der Fähigkeit zur Selbstregulation gegenüber Störgrößen. Die Systemstabilität, das humanökologische Gleichgewicht, die Gesundheit bleiben erhalten, solange die ökologische Potenz des Menschen (die Summe der Fähigkeiten und Kräfte des Organismus und der Person) mit der ökologischen Valenz (der Summe der Anforderungen durch Umwelt, Mitwelt und Arbeitswelt) im Gleichgewicht ist. Die Überforderung der Fähigkeiten zur Selbstregulation bei geschwächten Kräften aus vielfältigen inneren und äußeren Ursachen z.B. auch durch zu starke äußere Belastungen oder durch Unterforderungen führt zunächst zu einer krankheitsträchtigen Instabilität im System und danach entsprechend der Systemhierarchie im Organismus zum Versagen der Integrationskraft übergeordneter, somatischer und psychischer Regulationssysteme. Die Folge ist, dass sich krankheitsspezifische, nicht mehr voll in die Systemhierarchie eingeordnete (parasitäre) Regelkreise (Organkrankheiten) in Teilbereichen des Organismus mit eigenen krankheitsbestimmten Gesetzmäßigkeiten als Folge der partiellen oder totalen Desintegration im System entwickeln. Therapie darf nach diesem systemtheoretischen Modell nicht auf die Bekämpfung von Krankheiten und Krankheitssymptomen durch Gegenmittel begrenzt werden. Sie muss gleichzeitig biologisch, psychosomatisch und somatopsychisch die Integrationskraft des Organismus und der Person durch die besonderen Therapiemethoden einer systematisierten, ganzheitlich ausgerichteten Allgemeintherapie die Fähigkeiten zur Selbstregulation komplementär stützen.
 
Paradigmatische Folgerungen für das besondere „Therapiesystem Kur“:
  1. Gesundheit ist ein Gleichgewicht.
  2. In einem dynamischen biographischen Prozess sind die Gleichgewichte individueller Gesundheiten immer wieder neu und aktiv im Wandel des Lebens zu organisieren.
  3. Gesundheit ist primär das Ergebnis von Kräften und Fähigkeiten, die es ermöglichen, das Gleichgewicht Gesundheit autoregulatorisch unter den Störfaktoren des Lebens und der individuellen Lebensgeschichte stabil zu erhalten.
  4. Gesundheit ist Ausdruck einer relativen Stabilität in einem System mit hierarchischer Gliederung. Der Begriff der „Ganzheit“ kennzeichnet den Integrator von Teilsystemen im Gesamtsystem. Heilung bedeutet über die Besserung des Organbefundes hinaus durch Beseitigung von krankheitsbedingten Defiziten durch Heiltechnik auch Überwindung der Desintegration im System durch Steigerung von Kräften, Fähigkeiten und Kompetenzen.
  5. Die naturgemäßen Heilmethoden der balneo-physikalischen Reiz-Reaktionstherapie, die Bewegungstherapie und die Entspannungsmethoden trainieren Kräfte und Fähigkeiten.
  6. Kurortmedizin bietet als Therapiesystem eine integrative Ganzheitsmedizin, da Kurmaßnahmen in der sich ergänzenden Komplexität der Maßnahmen Regulationssysteme und Funktionen trainieren, interaktiv harmonisieren und den Patienten als Person aktivieren. Der Milieuwechsel als Kurfaktor, die Pause im Alltag und die Angebote zur Gesundheitsbildung am Kurort begünstigen die Verbesserung der individuellen Lebensbalancen durch eine Reorganisation des Lebensstiles aus dem „Selbst“, aus dem übergeordneten, psychosomatisch aktiven Integrator
  7. Gesundheitsförderung zielt auf eine Hebung des Gesundheitsniveaus durch die Entwicklung und Steigerung von Kräften und Fähigkeiten. Die Gleichgewichte individueller Gesundheiten werden dadurchstabiler und belastungsfähiger.
  8. Prävention bedeutet Stärkung von oft lebensgeschichtlich und altersbedingt geschwächten Kräften, Funktionen und Fähigkeiten, deren Schwäche in definierten Risikofaktoren objektivierbar ist, und die Entwicklung von protektiven Faktoren.
  9. Rehabilitation bedeutet Wiederherstellung eines funktionalen Gleichgewichtes auf der somatischen, psychischen und sozialen Ebene nach einer Krankheit, bei einer chronischen Erkrankung oder einer bleibenden Behinderung im Gefolge einer Krankheit.
  10. Das humanökologische Konzept von Gesundheit, das die Kurortmedizin in ihrer besonderen Struktur bestimmt, findet sich auch in den Rechtsbegriffen der Arbeits-, Berufs- und Erwerbsfähigkeit und den Zielwerten der Geriatrie wie Sicherung der Alltagsfähigkeiten und der persönlichen Autonomie im Leben der alten Menschen auch bei bestehender Multimorbidität wieder.
Diesem modernen humanökologischen Gesundheitsbegriff entspricht ein Psycho-sozio-somatischer Krankheitsbegriff – Er ist die Basis der Theorie der multifaktoriellen Krankheitsgenese, besonders von chronischen Krankheiten.

Die Sozialmedizin hat für die Behandlung am Kurort steigende Bedeutung

Die wissenschaftliche Forschung zeigt, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse und die gesellschaftlich dominierenden Überzeugungen wesentliche Bedingungen für Gesundheit und Krankheit darstellen. Sie beeinflussen unmittelbar durch die Arbeits- und Lebensbedingungen die Gesundheit und mittelbar über das Erleben und Gesundheitsverhalten der Menschen unter kollektiven Prägungen Krankheitsdispositionen. Wesen und Schnelligkeit der Veränderungen in der Gesellschaft bestimmen unter anderem heute die Zahl der Menschen, deren Anpassungsstörungen Krankheitswert haben. Krankheitszustände, in denen Form und Schwierigkeiten der Lebensbewältigung auf den verschiedenen Ebenen eine große Rolle spielen, haben in der Gesellschaft, begleitet von neuen Ansprüchen an die Medizin und an die Sozialversicherungssysteme, und auch im Kurort zugenommen.
 
Die Geschichte der Kur zeigt, dass nicht nur die Kurorte in der Vergangenheit Behandlungszentren mit besonderen Mitteln waren, sondern auch gesellschaftlich verstanden wurden als eine Art Nische zur Rekreation hinter der Frontlinie des Lebens mit all seinen Schwierigkeiten und Herausforderungen besonders auch durch die Arbeitswelt. Die immer wieder aufflammende Kritik an den „Sozialkuren“ im Rahmen der Kostenexpansion im Gesundheitswesen hat in dieser gesellschaftlichen Funktion der Heilbäder in Vergangenheit und Gegenwart ihren Grund. Einst wurde aus politischen Gründen im Rahmen des Bemühens der Gesellschaft um Demokratisierung der Heilungschancen der Begriff der „Sozialkur“ geschaffen. Heute ist der Begriff missverständlich, da nur noch Kuren in der Kriegsopferversorgung und spezielle Kurformen für Mütter und für Mütter mit Kindern die Komponente einer sozialen gesellschaftlichen Gratifikation nach allgemeinem Bewusstsein und nach der Strategie der politischen Parteien in der „Gesundheitsstrukturreform“ zuerkannt wird. Wegen dieser Sphärik des Begriffes Kur, unreflektiert synonym verstanden mit „Sozialkur“, wurde der Begriff der Kur aus dem Sozialgesetzbuch gestrichen. Die heute straffe medizinische Ausrichtung der Kurorttherapie auf die Prävention und Rehabilitation kommt zum Ausdruck in der heute üblichen rechtlichen Definition der „Kur“ als „Präventions- oder Rehabilitationsmaßnahmen in anerkannten Heilbädern und Kurorten“.
 
Zu bedenken ist allerdings dabei, dass der Begriff „Kur“ nach korrektem Sprachempfinden nie identisch war mit der politischen Strategie der Einführung der Sozialkur. Kur bezeichnet zunächst grundsätzlich nur die Therapiemethode einer iterativen Anwendung eines Mittels mit Reizabstufungen in einer Serie u. a. zum Beispiel von Bädern in der Badekur, von Klimafaktoren in der Klimatherapie aber auch die Diätetik einer Traubenkur oder Fastenkur. So gesehen kann der Begriff der Kur als Therapieprinzip aus politischen Gründen nicht aus der Sprache getilgt werden. Das kurmäßige Training durch iterativ angewandte Heilfaktoren zur Entwicklung von Kräften und Fähigkeiten ist in den Gesundheitsstrategien der Gesellschaft gerade in der Kostenexpansion im Gesundheitswesen unverzichtbar.
 
Erwerbsfähigkeit bzw. Leistungsfähigkeit im Leben – als Ziel der Behandlung durch Kuren und als Ziel der Rehabilitation – hängen nicht nur vom körperlichen Zustand des Kranken, sondern auch von seinem Krankheitsbewusstsein, seinem Befinden, seiner Einstellung zur Arbeit, der wirtschaftlichen Sicherung im Invaliditätsfalle, seinen Lebensverhältnissen und dem Grad seiner Integration in die Gesellschaft ab.

Phasenindikation der Kurbehandlung in einer optimalen Behandlungskette

Die Kurorte übernehmen in ihren klinischen Institutionen häufig nicht zuletzt aus Kostengründen schon früh die Aufgabe der Nachsorge, der Rehabilitation oder der Weiterbehandlung auch bei solchen Krankheitszuständen, bei denen ambulante kurörtliche Behandlung noch nicht angebracht ist, zum Beispiel in Anschlussheilverfahren (AHB-Verfahren). Auch nutzen in Deutschland überregionale Fachkliniken – oft angepasst an die traditionelle Hauptindikation des Heilbades – den Standortvorteil, den ein Heilbad strukturell und landschaftlich bietet. Auch hochspezialisierte operative Abteilungen sind in der Klinikstruktur von Heilbädern in Deutschland nicht selten. Die unterschiedlichen Schwerpunkte der fachspezifischen Therapiemethoden müssen nicht nur am Kurort im Gesamtkonzept einer Therapiekette gesehen werden, die der Patient nach Möglichkeit ohne große Schnittstellenprobleme phasenspezifisch abgestimmt auf die Prozesse des Erkrankens und Gesundens in einem optimalen Behandlungsplan durchlaufen kann.
 
Diese Phasenindikation moderner Therapien gilt beonders für Kurbehandlungen: Mit der Heilung oder Defektheilung einer organischen Erkrankung ist nur ein erster Schritt zur vollen Rehabilitation getan. Der zweite ist die Wiederherstellung bzw. die Besserung der körperlichen und seelischen Funktions- und Leistungsfähigkeit, d.h. die Beseitigung oder Besserung von verbliebenen Funktionsschwächen und Funktionsstörungen und die aktive Anpassung an die von der Gesellschaft geprägten und in der individuellen Situation vorgegebenen Lebensaufgaben (in Beruf, Familie und Gesellschaft) durch Einsicht und durch Übung von Kräften, Fähigkeiten und Kompetenzen. Auch Patienten mit chronischen Erkrankungen müssen mit ihrer chronischen Krankheit leben lernen, um trotz Krankheit in der Gesellschaft gesund sein zu können. Dazu tragen bei chronischen Krankheiten gerade die Entwicklung immer noch vorhandener gesundheitlicher Ressourcen durch Training und die begleitende Vermittlung von Wissen um die eigene Krankheit in der Kur bei.
 
Wenn man die Achse des Gesundungsprozesses von einer Krankheit zur Gesundheit umkehrt, also von der Gesundheit über Risikofaktoren zur Krankheit, dann finden sich die Funktions- und Regulationsstörungen und Minderungen des funktionalen Kräftegleichgewichtes nicht nur nach einer Krankheit, sondern davor als Risikofaktoren und Wegbereiter von Krankheiten. So bieten die Heilbäder und Kurorte auf dem heute deutlich angehobenen zivilisatorischen Niveau nach Absättigung von Grundbedürfnissen auch differenzierte Gesundheitsförderungsmaßnahmen für die noch Gesunden in Zeiten von Urlaub und Erholung an; denn viele Menschen leben heute in oft sehr einseitigen Lebens- und Arbeitsverhältnissen unter dem für sie möglichen Gesundheitsniveau. Diese Angebote wurden im Kurort entwickelt abgestimmt auf gesellschaftlich dominierende Risikofaktoren wie Übergewicht, Bewegungsmangel, Abhängigkeiten von Alltagsdrogen, Stressüberhang, Ruheunfähigkeit, eingeschränkte Erholungs- und Mußefähigkeiten u.s.w. Die in unserer Zeit aktuellen Zielwerte in diesem Segment der kurorttypischen Gesundheitsmedizin heißen: Wellness, Fitness und auch Beauty. Der Mensch fühlt sich wohl (erlebt wellbeing), wenn er körperlich und seelisch im Gleichgewicht durch eine gute Leistungsfähigkeit ist. Lust im Leben und Freude am Leben ist in großem Maße an das Dienstgut Gesundheit, also an eine durch das individuelle Kräftepotential stabilisierte Lebensbalance, gebunden.

Mittel und Methoden der Kurortmedizin

Die Kurortmedizin sieht in den natürlichen Heilmitteln des Bodens (in geogenen Mitteln) des Klimas und der Landschaft keine spezifisch wirkenden Mittel im Sinne einer Arzneimittelbehandlung bestimmter Krankheiten. Sie sind unspezifisch wirkende Allgemeintherapeutika mit besonderen Eigenschaften, die sie für die Behandlung bestimmter Krankheiten in abgegrenzten Krankheitsphasen geeignet sein lassen. Pharmakologische Effekte mit Wirkungen über die Haut und Schleimhäute gibt es; sie sind aber bei der Mehrzahl der Kurmittel nicht der entscheidende Wirkfaktor. Die Balneotherapie ist eine Reiz- Reaktions- und Regulationstherapie. Diese stellt den charakteristischen und wesentlichen Teil des Methodenspektrums der Kurortmedizin dar, die auch in der Gesamtheit als ein Therapiesystem einer komplexen, methodisch gegliederten Adaptationstherapie mit besonderen Indikationen und Gegenindikationen angesehen und begriffen werden muss.
 
Das Ziel der methodisch gegliederten Allgemeintherapie im Kurort ist eine Umstimmung und Aktivierung der Ordnungs- und Selbstheilungskräfte im Menschen nach einem individuellen Heilplan, der den Krankheitsbefund, das Befinden, das Verhalten und die Lebensverhältnisse des Kranken berücksichtigt und zu einer Stabilisierung der vegetativen, endokrinen und psychonervösen Regulationen des Organismus führt. Ganzheitliche integrative Leistungen des Organismus und der Person werden durch die Kurmaßnahmen begünstigt.
 
In diesem Zusammenhang muss auch der umgangssprachliche Begriff der Erholung medizinisch hinterfragt werden. Unter Erholung wird verstanden die spontane, primär nicht ärztlich gesteuerte Wiedererlangung (Rekompensation) körperlicher und seelischer Gleichgewichte nach einseitiger Über- oder Unterforderung in einer Entlastungssituation, die kompensatorische Aktivitäten und Ruhephasen erlaubt. Problematisch ist es im Hinblick auf die heute meistens für den Erholungsvorgang notwendigen ausgleichenden Aktivitäten, dass mit dem Begriff der Erholung gefühlsmässig und umgangssprachlich vorwiegend Entlastung und Passivität von den Bürgern assoziiert werden. Gerade aber am Kurort dürfen die medizinisch notwendigen aktiven und kreativen Ergänzungen im Erholungsprozess nicht zu kurz kommen. Voraussetzung einer Erholung ist die erhaltene Erholungsfähigkeit. Sie beruht physiologisch ebenfalls auf der Fähigkeit des Organismus zur Selbstregulation; sie geht mit einer verbesserten Spannkraft einher. Die Faktoren des Kurortmilieus, in dem der Gast sich mit der Natur in ihm und um ihn versöhnen kann, begünstigen spontane Erholungsprozesse. Erholungsvorgänge können auch medizinisch physiologisch über Trainingsmaßnahmen,Methoden der Körperpflege und Entspannungsmethoden gesteuert und verbessert werden. Bei Menschen mit eingeschränkter Erholungsfähigkeit sind die Übergänge zur Krankenbehandlung fließend.

Dauer von Kuren und Gesundheitsaufenthalten

Besonders die Kurbehandlung, aber auch Erholungsprozesse unterliegen einer chronobiologischen Ordnung und den Gesetzmäßigkeiten der Adaptationsphysiologie. Optimal ist ein Zeitrahmen von wenigstens 3 Wochen, in dem die biologische Umstimmung unter den kurtypischen Reizen rhythmisch gegliedert abläuft und Spätwirkungen (Hafteffekte) gebahnt werden. Gesundheitsaufenthalte, Gesundheitsseminare, Gesundheitstage oder Wochen zur Gesundheitsförderung und -pflege, Entspannung und Entmüdung sind begrenzt auch auf Zeiten unter 3 Wochen in Heilbädern und Kurorten durchaus nützlich und biologisch und psychosomatisch effektiv. Um aber die Klarheit der Begriffe nicht zu verwischen, sollten diese kürzeren Gesundheitsaufenthalte unter 3 Wochen aber nicht mit dem für die Heilbehandlung in Kurorten reservierten Begriff der „Kur“ mit der kurspezifischen, chronobiologischen Ordnung eines Umstimmungsprozesses nach einem individuell gestalteten Kurplan verwechselt werden. Für die Langzeitwirkung einer Erholung im Urlaub hat auch die medizinische Urlaubswissenschaft nachgewiesen, dass eine Erholungszeit von 3 bis 4 Wochen wirksamer ist als kürzere Erholungsintervalle, die deutlich geringere Hafteffekte bringen.

Ergänzungsfunktion der Kurortmedizin zu anderen medizinischen Fächern

Die Balneotherapie ist als besondere Form einer Allgemeintherapie nicht wie die Methoden vieler medizinischer Fächer an bestimmten Organsystemen orientiert, sondern an den gestörten Funktionen verschiedener Organsysteme. Sie ergänzt verschiedene medizinische Fächer in der Therapie unter Ganzheitsaspekten, zum Beispiel Innere Medizin, Orthopädie, Gynäkologie, Kinderheilkunde u.s.w. Es stellt sich also nicht die Frage, ob eine Krankheit durch eine Operation, ein Medikament oder durch physikalische Therapie am besten behandelt wird, sondern wann auf dem Boden einer Phasenindikation in der Therapiekette eine Operation, eine medikamentöse Behandlung oder auch wann eine Reiz-Reaktionstherapie, das heißt eine Regulations- und Übungstherapie im Rahmen einer Kur angezeigt ist. Verfahren der Pharmakotherapie, der Chirurgie und der Balneotherapie ergänzen sich im zeitlichen Vor-, Nach- und Nebeneinander. Die Kurorttherapie mit der systematisierten Anwendung natürlicher Heilmittel des Bodens, des Klimas und der Landschaft, der ergänzenden Verfahren der physikalischen Medizin, der Bewegungstherapien, der Entspannungstherapien, der Diätetik und mit dem psychomentalen Gesundheitstraining kombiniert diese einzelnen, wissenschaftlich seit langem anerkannten Verfahren. Die Kurortmedizin ist nicht mit einer Alternativ- Medizin zu verwechseln.

Die Kur eine den Gast aktivierende Übungsbehandlung

Die Aktivität des Kranken muss sich im Gesundungsprozess und in der Therapiekette umgekehrt proportional zu der Schwere der Erkrankung ändern. So muss die moderne Kur oder das Heilverfahren auch als eine die Person aktivierende Übungsbehandlung verstanden werden, in welcher der Einzelne in der Entlastung von Beruf, Familie und Alltag alle seine Kräfte zusammenfassen kann und soll, um unter Leitung der Ärzte das Optimum an Gesundheit zu erreichen, das nach Alter, Konstitution und Grunderkrankung möglich ist. Kuren führen den Patienten aus der gewohnten, systemkonformen Passivität in der Krankenrolle auch kostensparend heraus und zeigen ihm, wie er selbstverantwortlich Heilung und Gesundung fördern kann. Eine Kur ist somit nicht zuletzt auch Hilfe zur Selbsthilfe. Die Freistellung von der Berufsarbeit während einer Kur bedeutet Verschiebung von Arbeitskraft auf die Gesundungsarbeit.
 
In der Diskussion um Kuren vermischen sich immer wieder unsachlich und oft zum Schaden für das Kurwesen medizinische Aspekte des Therapieansatzes moderner Kuren mit historischen Aspekten aus dem stark gesellschaftlich geprägten Kurwesen vergangener Zeiten. Dem Gesetzgeber bereitete diese Vermischung der Perspektiven in der öffentlichen Diskussion über Kuren und Kostendämpfung Unbehagen und er beschloss, im Sozialgesetzbuch V den Begriff „Kur“ zu vermeiden, ohne die straffe medizinische Indikation für solche Behandlungen einschränken zu wollen.

Im Rahmen einer Strukturreform des Gesundheitswesens zur Kostenreduktion ist die Ausrichtung des heutigen Kurkonzeptes hochaktuell und wegweisend modern.
 
Es wurde weiterentwickelt und ausgerichtet
  • auf die Besonderheiten chronischer Krankheiten (nach dem Panoramawandel zu chronischen Krankheiten),
  • auf die degenerativen Alterskrankheiten und den Erhalt der Autonomie in der Lebensgestaltung bei diesen Krankheiten durch das Training von Alltagsfähigkeiten, (bei Überalterung der Gesellschaft und Verbrauch hoher Anteile der Krankenversicherung für die medizinische Versorgung alter Menschen und der Pflegeversicherung für Pflege)
  • auf die Beseitigung von Funktionsstörungen in der Rehabilitation (nach immer größeren Eingriffen durch jetzt mögliche chirurgische Verfahren mit nicht selten bleibenden Folgen nach Eingriffen und Unfällen)
  • auf die vielfältigen Funktions- und Regulationsstörungen der essentiellen und begleitenden psychovegetativen Syndrome (nach zivilisationsabhänger Zunahme auch psychosomatischer Störungen),
  • auf die Steigerungen der Selbstverantwortung für die Gesundheit und des Selbsthilfepotenzials durch die aktivierenden Kuren (nach Zunahme verhaltensabhängiger chronischer Krankheiten mit hohem Anteil an der Kostenexpansion im Gesundheitswesen)
  • auf die Gesundheitsgefahren in der Zivilisation durch Bewegungsmangel, Übergewicht, Stressintoleranz und Missbrauch von Alltagsdrogen.
Kur ist ein älterer Begriff für diese aktualisierten Aufgaben und Indikationsspektren. Kur ist weiterhin die Methode. Die übergreifenden Begriffe für die Indikationen laufen aber heute unter Titeln der Ziele: Rehabilitation, Prävention und Gesundheitsförderung. Für das Verständnis der besonderen Kuraufgaben ist auch die Klassifizierung eines Krankheitsprozesses durch die internationale Rehabilitationswissenschaft hilfreich. Sie klassifiziert und unterteilt die Aufgaben in der Therapie, die Interventionsschwerpunkte, nach dem organischen Schaden, dem Impairment, den Funktionsund Fähigkeitsstörungen, der Disability und den sozialen Beeinträchtigungen, dem sozialen Handicap.
 
So sind die Kurorte heute Stätten für die Reorganisation integrativer biologischer und psychischer Grundprozesse (Grundfunktionen). Gesundheitsförderung, Prävention und Rehabilitation sind Verfahren einer besseren Konditionierung des Menschen für die Bewältigung des Lebens. Sie kennzeichnen Therapiemethoden zur Wiederherstellung eines stabileren Lebensgleichgewichtes im Rahmen einer integrativen Ganzheitsmedizin. Die Kurortmedizin ist organisiert nach dem Kompetenzmodell von Gesundheit, ist eine Gesundheitsmedizin, während in weiten Bereichen der Medizin das Defizitmodell von Krankheit auf dem Boden der Lehre der pathologischen Anatomie wegleitend ist.

Spektrum der Methoden der Kurortbehandlung

Der Behandlungsplan (Kurplan) in Heilbädern und Kurorten umfasst ein allgemeines Basisprogramm und eine spezielle Therapie im Sinne des Funktions- und Regulationstrainings durch die Reiz-Reaktionsbehandlung, die in der Komplexität der Methoden als integrative Adaptationstherapie zu verstehen ist.
 
Das allgemeine Basisprogramm zielt auf eine Entfaltung der Ordnungskräfte im Organismus auch im Sinne der ärztlich gesteuerten Erholung ab und ist somit Grundlage des weiteren ärztlichen Handelns bei der Verordnung spezieller, kurörtlicher Therapiemethoden.
 
Die Ordnungskräfte entfalten sich
  1. durch Entlastung von der Arbeit und der normierten Arbeitswelt und durch das Herauslösen aus dem nicht selten konfliktträchtigen Alltag. (Rekompensation von Lebensgleichgewichten durch Entlastung)
  2. durch chronobiologische Harmonisierung des Tagesrhythmus im Wechsel von Anspannung, Entspannung, Nahrungsaufnahme und Schlaf,
  3. durch gesunde Ernährung
  4. durch ergänzende Bewegung oder Ruhe nach einseitigen Anforderungen im Alltag
  5. unter Muße als einer Voraussetzung innerer Lebensordnung
  6. unter Ausschaltung schädlicher Klimafaktoren
  7. nach Meidung oder Einschränkung von Alltagsdrogen
Das allgemeine Basisprogramm zielt also auf die Harmonisierung von Grundfunktionen durch günstige Rahmenbedingungen im Gesundheitsmilieu des Kurortes ab.
 
Zu den speziellen Methoden der Therapie am Kurort gehören:
  1. Balneotherapie in den verschiedenen Formen (Bäder und Trinkkuren)
  2. Gezielte Klimabehandlung mit der therapeutischen Nutzung der verschiedenen Klimafaktoren unter Bewegung und Ruhe im Rahmen einer systematisierten aktiven Klimakur
  3. Ergänzende Verfahren der physikalischen Therapie:
    3.1  Hydro- und Thermotherapie in den verschiedenen Formen,
    3.2 Elektrotherapie
    3.3 Licht- und Strahlenbehandlungen
    3.4 Inhalationstherapie
    3.5 Massagen in den verschiedenen Formen
  4. Therapiesysteme nach Kneipp, Prießnitz und Felke, zum Teil abhängig von der Besonderheit des Heilbades
  5. Bewegungstherapie mit Krankengymnastik und Sporttherapie
  6. Gesunde Ernährung und Diätbehandlungen
  7. Entspannungstherapien in den verschiedenen Formen
  8. Gesundheitstraining im Rahmen der psychomentalen Angebote zur Gesundheitsbildung
Fachlich nicht korrekt wird immer noch in Diskussionen über die zeitgemäße Struktur von Kuren zwischen passiven und aktiven Kurmaßnahmen unterschieden. Aber auch unter der Balneotherapie, Hydrotherapie und Klimatherapie sind auch bei passiver Haltung zum Beispiel im Wannenbad aktive, reaktive Umstellungen im Organismus als Antwort auf die Serie von Reizen der eigentliche, therapeutisch wirksame Faktor. Heute, in einer Zeit mit zunehmenden Krankheitsfaktoren durch Bewegungsmangel, spielen natürlich systemische Allgemeinwirkungen der aktiven Bewegungs- und Sporttherapie im Spektrum der Kurtherapie auch als Funktions- und Regulationstraining eine größere Rolle als früher.
 
Die polare Spannung zwischen Aktivität und Leistung einerseits und Ruhe und Entspannung andererseits ist ein Kriterium der Gesundheit. So gehört zu der Aktivierungsbehandlung in der Kur besonders heute auch eine strukturierte Entspannungstherapie (Methoden: autogenes Training, progressive Muskelrelaxation nach Jakobson, Spannungsregulation durch Yoga u.s.w.). Der Verlust der Ruhefähigkeit hat bei vielen Menschen heute nicht nur zu Schlafstörungen und einer Einbuße an Erholungsfähigkeit sondern auch der Leistungsfähigkeit bis hin zum Syndrom der gespannten Erschöpfung mit Krankheitswert geführt. Ruhefähigkeit ist die Voraussetzung der Mußefähigkeit, die erst wieder kreative Kräfte in diesem Prozess der Reorganisation von Gleichgewichten freisetzt. Heilbäder und Kurorte sind auch heute noch naturnahe ökologische Nischen in einer technifizierten Gesellschaft. Große Anstrengungen wurden in den Heilbädern und Kurorten in den vergangenen Jahrzehnten unternommen, um die Ruhe im Heilbad zu verbessern oder zu sichern.
 
Die Gesundheitserziehung, die Gesundheitsbildung und das Gesundheitstraining, Begriffe, die meistens umgangssprachlich für die gleiche Sache gebraucht werden, sollen Gesundheitswissen vermitteln, Motivationen zu gesundheitsgerechtem Verhalten aufbauen und ein solches Verhalten in der Kur einüben. Neben Gruppengesprächen und Informationsveranstaltungen zu allgemeinen Themen einer gesunden Lebensführung gehören zum individuellen Gesundheitstraining auch vorwiegend die speziellen Angebote für Kranke aus verschiedenen Indikationsgruppen. Diabetiker, Herz- Kreislaufkranke, Rheumatiker, Allergiker, Asthmatiker u.s.w. werden zu einem krankheitsangepassten Verhalten angeleitet. Sie können in der Kur lernen, mit einer chronischen Krankheit bestmöglichst zu leben.
 
Die krankheits- und kaloriengerechte Ernährung ist ein wichtiger Kurfaktor. Lehrküchen sind in den meisten Heilbädern eingerichtet worden. Das Diätgütezeichen vieler Betriebe weist den Gast den richtigen Weg zu der Diät, die er sucht und braucht.

Das gegliederte Kursystem

umfasst heute bei gleichen Zielen folgende Kurformen mit eigenen versicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen:
 
Der Sektor der „ambulanten Kuren“ in Heilbädern und Kurorten ist gegliedert in:
  1. Die ambulante Kindervorsorgekur
  2. Die ambulante Präventionskur
  3. Die ambulante Rehabilitationskur
  4. Die ambulante Kompaktkur (als Vorsorge- und Rehabilitationskur)
Ambulante Kompaktkuren mit hoher Therapiedichte werden in einer Art teilstationärer Versorgung in Gruppen von höchstens 15 Patienten indikationszentriert und spezialisiert unter einem Gruppenleiter durchgeführt. Die Patienten wählen aber die Unterkunft am Kurort selbst wie bei den übrigen ambulanten Kuren, die früher „offene Badekuren“ hießen.
 
Der klinische Sektor der stationären Kuren in Heilbädern und Kurorten ist gegliedert in:
  1. Die stationäre Präventionskur
  2. Die stationäre Rehabilitationskur
  3. Das Anschlussheilverfahren (AHB-Verfahren)
 Der Gesetzgeber hat darüber hinaus noch eigene Rahmenbedingungen für bestimmte gesellschaftliche Gruppen wie Mütterkuren, Mutter-Kind-Kuren und für den Bereich der Kriegsopferversorgung festgelegt.
 
Die Rentenversicherungen führen bis heute zu ihren Lasten nur stationäre Heilmaßnahmen, „Gesundheitsmaßnahmen“, durch. Je nach Schwere der Erkrankung sind auch im Bereich der Krankenversicherungen heute sowohl klinische als auch ambulante Maßnahmen am Kurort möglich. Nach Inkrafttreten der neuen Kurarztverträge von 1996 ist die medizinische Ausrichtung in allen Kurformen auf die Prävention und Rehabilitation gleich. Der Grundsatz „Reha vor Rente“ steht heute gleichberechtigt neben „Reha vor Pflege“.

Spezialisierung der Heilbäder und Kurorte

Besondere Eigenschaften und Vorteile der ortsgebundenen Kurmittel bei der Behandlung bestimmter Krankheiten haben bereits in der Vergangenheit zu der Spezialisierung der Heilbäder auf bestimmte Krankheitsgruppen geführt. Diese wurde durch fachmedizinische Strukturen für die Diagnostik und Therapie und durch die speziellen Erfahrungen der Kurärzte und Rehabilitationsmediziner mit bestimmten Krankheiten der Kurpatienten im jeweiligen Kurort vertieft. In der Vergangenheit kam es teilweise zu einer nicht immer wünschenswerten Ausweitung des Indikationsspektrums einzelner Heilbäder, da durch die Kurbehandlungen bei zahlreichen verschiedenen Krankheiten empirisch deutliche Besserungen festgestellt werden konnten. Das ist nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Wirkprinzipien balneotherapeutischer und verwandter Verfahren nicht verwunderlich, da die Stärkung der „Restgesundheit“ durch ein ähnliches Funktions- und Regulationstraining auch bei verschiedenen Erkrankungen Heil- und Abwehrkräfte unspezifisch stärkt und somit zur Besserung oder sogar Heilung differenter Krankheiten beiträgt. Die Entwicklung der Strukturen der Reha-Kliniken in den Heilbädern in Deutschland hat die Spezialisierung in der Form von Fachkliniken weiter vorangetrieben. Bei der Entwicklung der Therapiekonzepte für Kompaktkuren wurde diese strengere Spezialisierung auf bestimmte Aufgaben in der Vorsorge und Rehabilitation vergleichbar den klinischen Behandlungsstrukturen im ambulanten Sektor übernommen.

Kur- und Rehabilitationsforschung

Balneologische Forschung wird seit Jahrzehnten in vielen Ländern, besonders in Europa, in der GUS und in Japan , betrieben. Ihre Ergebnisse sind weniger bekannt geworden als die eindrucksvollen Fortschritte der Heiltechnik im Bereich der medikamentösen und chirurgischen Therapie. So ist es vordergründig erklärlich, dass von manchen Seiten, die dem Fachbereich fernstehen, an einer genügenden, zeitgemäßen wissenschaftlichen Begründung der Kurortbehandlung gezweifelt wird. Die unmittelbaren Wirkungen der balneologischen und physikalischen Behandlungsverfahren sind jedoch weitgehend und gut erforscht. Diese allein erklären aber den unbestreitbaren Erfolg kurörtlicher Behandlung noch nicht, weil dieser nicht als Summe einzelner Direktwirkungen aufgefasst und analysiert werden kann. Wir wissen heute, wie bereits ausgeführt, dass balneologische Verfahren in komplizierte Reglermechanismen eingreifen und die regulative Kapazität und Potenz des hierarchisch gegliederten Regulationssystems des Organismus durch den Reizakkord der verschiedenen Anwendungen stärken. Sie wirken zum großen Teil indirekt auf die verschiedenen Krankheiten über eine bessere Adaptation des noch gesunden Teils des Organismus an die Krankheiten, also über eine systemische Stimulierung von Heil- und Abwehrkräften. Kuren stärken den „inneren Arzt“. Die Analyse linear-causaler Wirkzusammenhänge wird anders als zum Beispiel bei Medikamenten erschwert, weil immer mehrere therapeutische Faktoren in der Kur auf der biologischen, psychischen und sozialen Ebene gleichzeitig wirksam sind. Die Medizin weiß heute viel über die Entstehung, die Manifestation und den Verlauf von Krankheiten aber im Vergleich dazu noch relativ wenig, warum die einen unter vergleichbaren Bedingungen gesund bleiben und andere Menschen erkranken. Die Grundlagenwissenschaften der Medizin haben bisher die Grundphänomene von Selbstregulation und Salutogenese nur erst unzureichend erhellen können, wenn auch in den letzten Jahren u.a. durch die Erkenntnisse der Psycho-Neuro-Immunologie in diesem Bereich wesentliche Fortschritte zu verzeichnen sind. Die Kurortmedizin als strukturierte Gesundheitsmedizin auf dem Boden des Kompetenzmodells von Gesundheiten mit ihren besonderen, zeitgemäßen Aufgaben in unserer Gesellschaft muss in diese notwendigerweise interdisziplinären Forschungen der Gesundheitswissenschaften stärker als bisher eingebunden und gefördert werden. Zu beachten ist ferner, dass die Erfolge der Prävention, der Rehabilitation und die bei chronischen Krankheiten immer nur langfristig beobachtet und bewertet werden können. Dagegen ist bei akuten Krankheiten die Beurteilung der medikamentösen und der chirurgischen Behandlungen kurzfristig und einfacher auf Grund linear-causaler Wirkungsketten möglich. Sozioökonomisch ist aber heute schon eindeutig gesichert, dass Kuren Kosten im Gesundheitssystem sparen. Nach Kuren sinken der Medikamentenverbrauch, die Häufigkeit der Arztkontakte und die Fehlzeiten in den Betrieben. Das Selbsthilfepotenzial der Menschen, gerade auch bei chronischen Krankheiten, steigt durch eine bessere „Patientenschulung“. Frühberentungen werden heraus geschoben.

Der Kurort als Gesundheitszentrum für Urlaub, Freizeit und Erholung

Heilbäder und Kurorte hatten in Deutschland immer zwei gesellschaftliche Funktionen. So auch heute. Sie sind einerseits Zentren der Krankenbehandlung mit besonderen Mitteln, Methoden und Aufgaben, wie ausgeführt, andererseits Zentren mit vielseitigen Angeboten medizinisch fundierter Gesundheitsförderung in Urlaubs-, Freizeit, und Erholungszeiten. Gerade der Gesunde muss heute in einseitigen Lebens- und Arbeitsverhältnissen die Sicherung seiner Gesundheit als eine lebensbegleitende Aufgabe begreifen. Erst die Bewahrung und Entwicklung von Kräften und Fähigkeiten durch Übung sichert Spannkraft, Fitness, Wohlbefinden (Wellness) und in einer relativen Dimension „Jugend“. So bieten auch die deutschen Heilbäder und Kurorte mit ihrem gesundheitsorientiertem Milieu maßgeschneiderte und für jedes Alter sinnvolle Strukturen für Fitness-, Entspannungs-, Erlebnisurlaube bis hin zu Schönheitsseminaren an. Die Struktur unseres Sozialversicherungssystems erfordert aber eine strikte Trennung der beiden Angebotsformen, da nur Krankenbehandlung durch Kuren solidarisch finanziert werden kann.

Ausblick

Die kulturelle Entwicklung der Medizin bewegt sich dynamisch vorangetrieben durch den eigenen technischen und wissenschaftlichen Fortschritt auf eine umfassende präventive Gesundheitsmedizin zu. Das Kur- und Heilbäderwesen hat in diesem Prozess zeitgeschichtlich eine besondere hochaktuelle Bedeutung, da in keinem anderen Sektor der gegenwärtigen medizinischen Versorgungsstrukturen gesundheitsorientierte Prävention in allen 3 Stufen der Klassifikation das Therapiekonzept prägt. Kurortmedizin lehrt wie in keinem anderen Fachbereich der Medizin die Menschen, die Verantwortung für die eigene Gesundheit aktiv selbst wahrzunehmen. Sie ist eng verbunden mit den aktuellen Erkenntnissen der New Public Health. Die Kurortmedizin ist verankert in einer sowohl sehr alten, erfahrungskundlich abgesicherten als auch zukunftsweisenden Tradition. Sie umfasst heute alle anerkannten, international gebräuchlichen Verfahren der medizinischen Rehabilitation eingefügt in ein besonderes, allerdings auch gesellschaftlich geprägtes mitteleuropäisches Muster einer Heilkultur. Sie, die Kurortmedizin, fühlt sich auch gerade heute eingebunden im schnellen Wandel in den dynamischen Entwicklungsprozess der Gesellschaft und der Medizin.

Die deutschen Kurorte und ihre natürlichen Heilmittel

Mineralheilbäder und Mineral- und Moorheilbäder

Moorheilbäder, Indikationen

Heilklimatische Kurorte

Seeheilbäder und Seebäder

Kneippheilbäder und Kneippkurorte

Prinzipien der Kurortbehandlung

Grundlagen der zeitgemäßen Behandlung in den Heilbädern und Kurorten

Kriterien des Kurerfolgs

Einführung in Chemie und Charakteristik der Heilwässer und Peloide

Therapie mit Ortsspezifika

Physikalische Therapie am Kurort

Sport im Kurort

Diätetik

Trinkkuren

Thalassotherapie

Das Kneippsche Naturheilverfahren

Die Moortherapie

Die Kompaktkur

Wellness im Kurort

Kur und Kurseelsorge

Angebote

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