Die deutschen Kurorte und ihre natürlichen Heilmittel

Die Moortherapie

Univ. Prof. Dr. Dr. Dipl.-Phys. Jürgen Kleinschmidt / Dr. med. Johannes Dietrich

Wenn man eine ernsthafte Peloid-Therapie durchführt und sich dazu näher mit Peloiden befasst, erkennt man viele Details, die anspruchsvoller sind als ein scheinbar triviales„Aufklatschen irgendeiner heißen Substanz“ auf den menschlichen Körper. Speziell für die vielfach dokumentierte Erfahrung, dass kostspielige dickbreiige Moorbäder intensiverwirken als einfache Wasserbäder mit Badezusätzen (= Medizinische Bäder) lassen sich damit auch theoretische Erklärungsmodelle mit praxisrelevanten Folgen für verschiedene Applikationsformen aufzeigen. Ob auch noch weitere Faktoren einwirken, ist nie auszuschließen. In der Wertigkeit stehennach bisherigen Erkenntnissen aber sicher thermische Wirk-Faktoren im Vordergrund. Der konduktive Wärmetransport bewirkt bei hinreichender Schichtdicke eine im Behandlungsverlauf relativ konstant bleibende erträgliche Hauttemperatur auch bei Applikationstemperaturen bis zu 50 °C (Moor). Dies begründet – auch in umgekehrter Richtung für die Moorkaltpackungen – das als „gute Temperaturverträglichkeit“ bezeichnete Spezifikum von Moor.
Bei Moorvollbädern und Peloid-Ganzpackungen stellen sich die für Peloide spezifischen Unterschiede zwischen Applikations- und Hauttemperatur an verschiedenen Körperstellen ein, wobei eher schlecht durchblutete Geweberegionen durch höhere Hauttemperaturen bevorteilt werden gegenüber gut durchbluteten Regionen (Nivellierungseffekt). Hierauf beruht eine Kombinationswirkung aus systemischer und lokaler Überwärmung, allerdings nur bei hinreichendem Materialeinsatz, d. h. in dickbreiigen Peloiden mit Mindestschichtdicken von mehreren Zentimetern.
 
Diese aufwändigen Applikationsformen dürfen deshalb nicht verwechselt werden mit weit kostengünstigeren Verfahren wie Medizinischen Bäder mit zugesetztem Moorextrakt, Schlickpräparaten oder Fangomehl. Diese – wie auch das Abbürsten von getrockneter Moorsalbe oder das Trinken von Moorschnaps – haben auch, aber eben andere Wirkungen.
 
Moortherapie wird kassenabrechnungsfähig in Form von Heißpackungen, Kaltpackungen, Voll- und Teilbädern sowie Handkneten angewandt. Abgesehen von (Brei-)Bädern kommen für diese Applikationen auch Schlick, Fango, Bentonit, Lehm oder Kreideschlamm zur Anwendung, also Peloide, die sich in chemisch-analytischer Hinsicht in Größenordnungen unterscheiden. Im Hinblick auf ihr thermo-physikalisches Potenzial sind sie sich aber so ähnlich, dass bei ärztlichen Verschreibungen ausdrücklich „Naturmoor-Packungen“ vermerkt werden müssen, um Abänderungen zu vermeiden, die in vielen Physiotherapiepraxen realisiert werden: wenn lediglich „Moorpackungen“ verschrieben wurden, werden häufig auch „Naturfango-Packungen“ appliziert oder sogar (ganz und gar nicht natürliche) Paraffin-Anwendungen mit eingeschlossenen Moor-, Fango- oder Schlick-Partikeln (Moor Paraffin, Fango-Paraffin, Schlick-Paraffin).
 
Ein weiteres Problem sind für Moorheilbäder zuweilen naturschutzvorsorgliche Beschränkungen der Nutzungsgenehmigungen von nahegelegenen Mooren. Dabei wird Torf, der für die Moortherapie entnommen wird, anders als etwa in Gärtnereien oder Heizkraftwerken nicht endgültig verbraucht, sondern lediglich gleichsam leihweise gebraucht und nach der Anwendung in aufwändig angelegten und betriebenen Abmoorteichen renaturiert.
 
Die Moor-Therapie wird sicher auch in Zukunft noch nachgefragt und als eine bedeutende Spezialität der Kurortmedizin durchgeführt werden.

1. Moorkuren

Europaweit spielt das Peloid1) Moor nur in den klimatisch kälteren Zonen eine Rolle, also außer bei uns noch in Skandinavien, in Osteuropa, in Österreich und in der Schweiz. Von den ca. 350 Heilbädern, Kurorten oder Orten mit anerkannten Kurbetrieben, die im Deutschen Bäderkalender aufgelistet sind, beziehen sich ca. 20 % als Moorheilbad oder Moorkurbetrieb speziell auf dieses organische Peloid. In süd- und westeuropäischen Ländern stehen demgegenüber andere Peloidformen, vor allem der anorganische Fango (als so genannter „gereifter Fango“ auch mit mehr oder weniger starker organischer Besiedelung) im Vordergrund.
 
Es gibt dabei – sinnvollerweise – aber keine Kurorte, in denen ausschließlich Moor, ausschließlich Sole, ausschließlich Kneipp-Güsse, ausschließlich Fango o. a. als Therapieformen angewendet werden. Statt dessen ist gerade die Abwechslung zwischen verschiedenen Therapieangeboten während einer Kur ein Faktor, der die Patienten zu der bekannt hohen Compliance, d. h. zum freiwilligen Mitmachen, bewegt. In einem solchen Kurtherapiespektrum ist z. B. ein Moorvollbad – als sehr anstrengendes Therapeutikum – nur jeden 2. oder 3. Tag vorgesehen (Belastungstag), wobei in den Zwischentagen eher körperlich entlastende Therapieformen (Liegekur, Entspannungstherapie) eingeplant werden.

2. Spezifität der Peloid-Therapie

Die Therapie mit Peloiden wird bei sehr unterschiedlichen Krankheitsbildern wie Arthrose, Weichteilrheumatismus, gynäkologischen Hormonstörungen, Nachbehandlung bei Hüftgelenksoperationen, HWS-Syndrom u. a. m. verordnet.
 
Dabei gibt es so verschiedene Applikationsformen2) wie Vollbad, Teilbad, Packung, Salbe, Nahrungszugabe sowie deutlich unterschiedliche Dosierungsangaben in Bezug auf Applikationstemperatur (4 °C - 50 °C), Einwirkungsdauer (15 - 120 min) und Nachruhezeiten (0 - 60 min).
 
Wenn dann noch je nach Örtlichkeit bei gleichen Krankheitsbildern verschiedenartige Peloide3) wie Schlick, Fango, Lehm, Kreideschlamm oder Moor (Packungs- und Badetorf) verwendet werden, fällt es schwer, „den“ Wirkungsmechanismus „der“ Peloidtherapie zu markieren.
2.1. Chemisch-pharmakologische Wirkungen
 
Wenn man spezifische chemische Inhaltsstoffe in den Vordergrund stellt, müßte man unter Bezug auf die vereinfachte Modellvorstellung des FICKschen Diffusionsprinzips
 
  1. möglichst lange Applikationsdauern wählen,
  2. möglichst große Applikationsflächen, d. h. Vollbäder, im Auge behalten,
  3. differenzierte Vorgaben für Moor (organische Substanzen), Fango, Kreide (anorganische Substanzen) oder sonstige Peloide (so insbesondere der sekundär [= „Reifung“] mit organischen Organismen besiedelte italienische Fango oder der norddeutsche Meeresschlick) festlegen (Abb. 1).
Für perkutane Austauschvorgänge chemischer Substanzen sind dabei an die nötige Materialschichtdicke nur geringe Anforderungen (wenige Tausendstel eines Zentimeters) zu stellen. Unter diesem Aspekt wäre auch z. B. die Moorsalbe eine folgerichtige Konsequenz – ein kostengünstiges Angebot, das aber mit der Moortherapie im Sinne der spezialisierten Therapie in den deutschen und außerdeutschen Moorheilbädern nichts gemeinsam hat.
 
Unter thermophysikalischen Gesichtspunkten müssen während der Applikationsdauer Wärmevorrat und Wärmenachschub angepasst sein, was Schichtdicken von mehreren Zentimetern erfordert. Die physikalische Maßzahl hierfür ist die Temperaturleitfähigkeit. Modellrechnungen dazu ergeben, dass bei einer 2 cm dicken Fangoschicht wegen Erschöpfung des Wärmevorrats die Applikationsdauer kaum länger als 15 Minuten sein kann. Umgekehrt ist für Moor – zumindest bei der in den deutschen Moorheilbädern vorgeschriebenen Packungsschichtdicke von 5 cm – nach 20 Minuten das Therapiepotenzial noch längst nicht erschöpft, so dass zumindest dort eine Verlängerung der derzeit üblichen Applikationsdauern möglich ist.
2.2. Thermophysikalische Wirkungen
 
Unter thermophysikalischen Ansprüchen reichen ca. 3 cm (Moor) bzw. 5 cm (Fango) Peloidschichtdicke aus, um – bei guten Wärmeisolationsbedingungen – eine mindestens 15-minütige Applikationsdauer ohne merkliches Absinken der Kontakttemperatur an der Haut zu gewährleisten und dabei konduktiv Wärme zu übertragen. Die grundlegende therapeutische Vorstellung besteht dabei darin, dass es der kranke menschliche Körper aus eigener Kraft bzw. Steuerfähigkeit nicht schafft, lokal etwa ein Gelenk oder systemisch den Körperkern so zu temperieren, dass temperaturabhängige Stoffwechselvorgänge oder Durchblutungsverhältnisse im positiven Sinne beeinflusst werden. So fällt die Möglichkeit zur Erzeugung metabolischer Wärme durch Muskelarbeit gerade bei älteren Patienten häufig aus (Kreislaufinsuffizienz, Beweglichkeitseinschränkungen). Statt dessen führt man – als Immediateffekt – von außen Wärme zu und substituiert damit ein körpereigenes Leistungsdefizit; sekundär – als Serieneffekt – „lernt“ der Körper, plötzliche lokale Überwärmungen durch adäquate Durchblutungssteigerung schneller zu kompensieren und damit insgesamt die Durchblutungssteuerung zu verbessern.
 
Zu den therapeutisch genutzten Wirkungsmechanismen gehören:
  • lokale und (bei Ganzpackungen) systemische Gewebeerwärmung mit der so genannten Nachwärme (Retard-Wirkung)

    zur Muskeltonus-Senkung,
    zur Spasmolyse sowie
    zur allgemeinen Entspannung
     
  • lokale und systemische Mehrdurchblutung

    mit Anregung des Immunsystems sowie
    mit gefördertem An- und Ab-Transport von Stoffwechselprodukten
     
  • reflektorische segmentale Wirkungen auf innere Organe, ausgehend von sensorischen

    taktilen und
    thermischen Reizen an den therapierten Hautstellen.
Unter balneogynäkologischen Gesichtspunkten wird therapeutisch genutzt, dass die den zyklische Verlauf der Basaltemperatur – mit niedrigeren Werten in der Follikelphase und mit Temperaturanstieg nach der Ovulation – steuernde endokrine Regulation eng mit der Thermoregulation gekoppelt ist. Durch systemische Überwärmung, insbesondere im Moorvollbad, kann man so auf das Zentrum der endokrinen Regulation im Hypothalamus einwirken. Auf diesem Wege lassen sich endokrine Dysregulationen normalisieren und die Oestrogenbiosynthese im Ovar4) stimulieren.
 
Physikalisch wird Wärme immer auf kürzeren oder längeren Wärmetransportwegen zwischen zwei Gewebegebieten mit unterschiedlicher Temperatur transportiert. Für den Wärmetransport wird Zeit benötigt. So nimmt z. B. im Verlaufe einer Nacht im gut isolierten Federbett durch den Wärmestau nicht nur die Haut etwa Körperkerntemperatur an, sondern – schon aus physikalischen Gründen – auch das dazwischenliegende Muskelgewebe und die Gelenke.
 
Schneller als im Federbett erfolgt – bei unveränderten Gewebe-Wärmeübergangskennzahlen – ein Wärmetransport bei einem größeren Temperaturgradienten, d. h.
  • entweder wird die Temperaturdifferenz größer (auch bei Heizkissen, Wärmflaschen),
  • oder die Wege werden kleiner.
Letzteres ist – zumindest lokal – dadurch zu bewirken,dass beispielsweise in Knochennähe mit Ultraschall- Applikation (physikalisch gesprochen) Wärmequellen erzeugt werden; mit Diathermie kann man in schlecht durchblutetem Gewebe wie Gelenken (Kondensator-Feld-Methode) oder in gut durchblutetem Gewebe wie Muskeln (Spulenfeld-Methode) Wärmeenergie bereits in der Nähe des Zielortes deponieren.
 
Diese Verfahren erfordern allerdings weit mehr Durchführungs- und Überwachungsaufwand als Peloidpackungen und sind außerdem zuweilen aus forensischen Gründen z. B. bei Herzschrittmachern oder Metallimplantaten kontraindiziert.
 
Peloidpackungen sind demgegenüber universeller einsetzbar und schließen bewusst den Hautkontakt mit natürlichen Materialien ein, die – in quantitativ allerdings vernachlässigbarer Menge – Inhaltsstoffe percutan abgeben und – vor allem mit umgekehrter Transportrichtung – aufnahmefähig sind für Schweiß und andere vom Körper eluierte Substanzen unter Beibehaltung5) der thermophysikalischen Kontaktbedingungen.
 
Das physikalisch einfachste Verfahren zur Erzielung eines hohen Wärmeeinstroms, nämlich das Erhöhen der Kontakttemperatur, stößt relativ schnell an die physiologische Grenze der Schmerzempfindung. Danach ist es ohnehin – zumindest für Nicht-Japaner – zunächst erstaunlich, daß der Körper bei einer Schmerzgrenze von ca. 42 °C Hauttemperatur die Anlage einer 50 °C heißen Moorpackung oder einer 45 °C heißen Fango-Packung zu tolerieren scheint. Der Grund ist bei den gleichen physikalischen Wärmeübergangsbedingungen zu suchen, die es uns erlauben, in der Sauna auf 90 °C heißen Holzlatten zu sitzen, aber keinesfalls die 90 °C heißen Metallumrandungen des Thermohygrometers zu berühren: je nach Wärmeleit- und Wärmespeicherungsfähigkeit (-> Wärmeeindringzahl) kann ein Medium seine an der Berührfläche entzogene Wärmeenergie schneller „nachliefern“ oder langsamer, und die Kontakttemperatur an der Hautoberfläche wird damit mehr oder weniger stark in Richtung der Applikationstemperatur erhöht.
 
Weil Körpergewebe und Moor in etwa gleiche Wärmeeindringzahlenhaben, stellt sich eine mittlere Kontakttemperatur von ca. 40 °C zwischen anfänglicher Moor- (z. B. 50 °C) und Haut- (z. B. 30 °C) Temperatur ein und erklärt somit die scheinbare physiologische „Temperaturverträglichkeit“ von Moor.
 
Fango hat vergleichsweise eine höhere Wärmeeindringzahl6). An der Haut stellt sich daher eine höhere Kontakttemperatur ein und Fango wird dementsprechend als heißer empfunden. Zur Vermeidung von Schmerzempfindungen muss deshalb seine Applikationstemperatur herabgesetzt werden (ca. 45 °C).
 
Letztlich wird also der Temperaturgradient an der Haut so „manipuliert“ (Wärmehaltung), dass ein längerdauernder Wärmetransport ins tiefergelegene Ziel-Gewebe möglich wird. Aus diesem Grund gehören Peloid-Packungen nicht nur in
  • den auf Moor spezialisierten Moorheilbädern,
  • den Lehm einsetzenden FELKE-Kurorten
  • den Schlick und/oder
  • Kreide verwendenden Seeheilbädern
zum unverzichtbaren Therapiespektrum praktisch aller ca. 350 Heilbäder und (höherprädikatisierten) Kurorte in Deutschland.
2.3. Ersatzformen
 
Von den vorgenannten wasserhaltigen natürlichen Peloid- und insbesondere von den nur einmal verwendeten Moorpackungen unterscheiden sich die Ersatzformen, die künstliche Paraffin-Mischungen statt des Moorwassers als Wärmehaltungsmedium zum 30- und mehr-maligen wiederholten Einsatz – auch bei verschiedenen Patienten – verwenden, in mehrfacher Hinsicht. Abgesehen davon, dass letztere schon aus mechanischen Gründen nicht an Gelenke, sondern nur an „glatten“ Körperpartien anmodulierbar sind, erfüllen sie auch nicht die Unterscheidungsmerkmale von Packungen gegenüber Kompressen: natürliche Moorpackungen absorbieren Schweiß und andere aus der Haut eluierte Substanzen und gewährleisten damit einen konstanten thermischen Kontakt zwischen Therapiemedium und Körper. Damit ist unvermeidbar auch ein größerer Nachreinigungsaufwand für Patient, Behandler und Behandlungsplatz verbunden. Dies erklärt, dass Moorpackungen und Moorbäder entsprechend hoch abgerechnet werden müssen.
 
2.4. Naturmoor-Vollbäder
 
Beim Moorvollbad treffen gleichzeitig mehrere Einzeleffekte zusammen:
  1. Die Immersion führt – wie im Wasserbad – zu größerer hydrostatischer Belastung mit daraus resultierender Verschiebung von Blutvolumina aus peripheren Gefäßen, wobei unter Druck-Belastungsgesichtspunkten ein Patient, der problemlos zu Hause in seiner Badewanne badet, auch ein Moor-Vollbad nehmen kann.

    Auch bei Ganzkörperpackungen mit Fango oder Schlick ist infolge des hohen spezifischen Gewichts eine hydrostatische Druckbelastung spürbar, die ebenfalls Blutvolumenverschiebungen verursacht.
  2. Die Möglichkeiten des Körpers zur gegenregulatorischen Wärmeabfuhr werden – wie im Wasserbad – drastisch eingeengt mit der Folge einer Kerntemperaturerhöhung.
  3. Gegenüber einer Packungsliege führt im Moorvollbad der Auftrieb7) – ähnlich wie im Wasserbad – zu einer erleichterten statischen biomechanischen Lagerung; anders als im Wasserbad setzt der zähflüssige Moorbrei (dynamischen) Bewegungen einen größerem Reibungswiderstand entgegen. Die Bewegungen werden verlangsamt, oder der vom Patienten zu erbringende Kraftaufwand muss größer werden.
  4. An Körperstellen mit verschiedenen Wärmeeindringzahlen erfolgt – anders als im Wasserbad – eine Art Selbstregulierung des anfänglich höheren Wärmeeinstroms. Die Erklärung liegt in den vorgenannten unterschiedlichen Kontakttemperaturen.

    Analog zum vorher erläuterten Zusammenhang, d. h.
    bei gleicher (Anfangs-) Hauttemperatur stellen sich bei Fango höhere Grenzschichttemperaturen ein als bei Moor
    gilt nämlich auch umgekehrt:
    bei (anfangs) gleichtemperiertem Moorbrei stellt sich an gut durchbluteten Körperstellen eine niedrigere Kontakttemperatur ein als an schlecht durchblutetem Gewebe.
Der niedrigere Temperaturgradient wirkt damit – z. B. an der Hand – der eigentlich möglichen8) höheren Wärmezufuhr entgegen. Die gesamte thermische Überwärmung verteilt sich damit etwa gleichmäßig auf alle Körperregionen (Nivellierungseffekt).

3. Zukunft der Peloid-Therapie

In mittel- und nordeuropäischen Ländern wird meist das Peloid „Torf“9) bzw. „Moor“ verwendet, in südeuropäischen Ländern vor allem Schlick-artige Peloide, insbesondere der „gereifte Fango“ aus Abano und Monte Grotto. Hinsichtlich der Moore gibt es schon von der Entstehungsgeschichte her unterschiedliche Moorarten, wobei die Unterteilung in Nieder- und Hochmoortorfe nur einen ersten Anhaltspunkt liefert. Der Patient verspürt sowohl die mehr oder weniger grobe Struktur des jeweiligen Peloids direkt an der Haut als auch die so genannter Temperaturverträglichkeit. Tatsächlich ist letztlich die persönliche Erfahrung des Kurpatienten mit dem Moor aus Bad Kohlgrub oder aus Bad Zwischenahn – um nur zwei staatlich anerkannte, weit voneinander entfernte deutsche Moorheilbäder anzuführen – der Grund dafür, hier oder dort Stammgast zu werden – zumindest, solange der Moorabbau und damit die Moortherapie noch durchgeführt werden können.
 
De facto steht dabei genügend Moor zur Verfügung, auch für die außerkurörtliche Versorgung der zahlreichen Praxen von Physiotherapeuten. Realiter wird die gewerberechtliche Verfügbarkeit jedoch – sogar unter Beschneidung des Eigentumsrechts – zunehmend eingeschränkt. Hierbei wird einer vermeintlichen Schutznotwendigkeit für Moorlandschaften der Primat vor den Bedürfnissen von Kurpatienten eingeräumt. Tatsächlich ist dabei die dem Naturschutz wichtige oberste Schicht mit ihrem pflanzlichen Bewuchs für die Moortherapie gar nicht geeignet: sie wird bei der Torfgewinnung abgetragen und lokal gelagert, um an das darunter liegende flora- und faunafreie weitaus homogenere Material mit seinem für Pflanzen wachstumshinderlichen sauren pHWerten heranzukommen. Der so gewonnene Torf wird nach der späteren Aufbereitung und der therapeutischen Anwendung z. B. in einem Kurmittelhaus letztlich wieder in die ursprüngliche Lagerstätte zurücktransportiert. In den dafür besonders zu schützenden (Unfallgefahr!) Abmoorteichen bildet sich schließlich allmählich wieder die typische Mooroberfläche aus.
 
Die Moor-Therapie an sich wird sicher auch in Zukunft noch nachgefragt und als eine bedeutende Spezialität der Kurortmedizin durchgeführt werden.

Endnoten

  1. (gr) schlammartige Substanz.
  2. Daneben gibt es Ansätze für weitere Applikationsformen, z. B. als Moortretbecken, Moortampon oder in Form des Moorbürstens.
  3. Hier und im Folgenden werden die echten, d. h. mit Wasser angeteigten natürlichen Peloide Natur-Moor, Natur-Fango, Natur-Schlick etc. besprochen, die u. a. auch an Gelenken gut anmodulierbar sind und sich (auch) dadurch von Paraffin-Anwendungen unterscheiden, denen lediglich als Farbkomponenten Torf-, Fango- oder Schlickpulver zugemischt wurde und für die gleichwohl häufig missverständlich der ungeschützte Begriff „Moor“ (als Kurzform für Moor-Paraffin-Packung), „Fango“ (als Kurzform für Fango-Paraffin-Packung) etc. verwendet wird. Im Hinblick auf ihr thermo-physikalisch ähnliches Potenzial weisen verschiedene Peloidpackungen dennnoch Unterschiede auf, so dass bei ärztlichen Verschreibungen ausdrücklich beispielsweise „Naturmoor-Packungen“ vermerkt werden müssen. Ansonsten werden in vielen Physiotherapiepraxen Abänderungen realisiert: wenn lediglich „Moorpackungen“ verschrieben wurden, werden auch „Naturfango-Packungen“ appliziert oder sogar die vorgenannten (ganz und gar nicht natürlichen) Paraffin-Anwendungen.
  4. Bei dessen Funktionsverlust über „Ersatz Systeme“ (Unterhautfettgewebe, Leber, Brustdrüse, andere Hirnabschnitte).
  5. Und damit anders als z. B. bei Paraffin-Anwendungen oder bei Kompressen.
  6. Wärmeeindringzahl von Moor ca. 1300 SI-Einheiten
    Wärmeeindringzahl von Fango ca. 1600 SI-Einheiten
    Wärmeeindringzahl von Hautgewebe ca. 1300 SI-Einheiten
    Wärmeeindringzahl von Fettgewebe ca. 800 SI-Einheiten
  7. Beim Schlick ist der Auftrieb wegen der hohen Dichte (=1.3 g/cm3) so groß, dass der Patient nur mit Zusatzeinrichtungen (Schultergürtel, Haltegurte) im Vollbad gehalten werden kann; beim Fango (=1.8 g/cm3) gibt es deswegen gar keine (breiförmigen) Vollbad-Applikation.
  8. Auf Grund der besseren Wärmeübergangseigenschaften.
  9. In der Geologie wird unterschieden zwischen dem wegtransportierbaren Material (Torf) und der ortsfesten Gestehungs- bzw. Lagerstätte „Moor“, die den „Torf“ enthält.

Die deutschen Kurorte und ihre natürlichen Heilmittel

Mineralheilbäder und Mineral- und Moorheilbäder

Moorheilbäder, Indikationen

Heilklimatische Kurorte

Seeheilbäder und Seebäder

Kneippheilbäder und Kneippkurorte

Prinzipien der Kurortbehandlung

Grundlagen der zeitgemäßen Behandlung in den Heilbädern und Kurorten

Kriterien des Kurerfolgs

Einführung in Chemie und Charakteristik der Heilwässer und Peloide

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