2.2. Thermophysikalische Wirkungen
Unter thermophysikalischen Ansprüchen reichen ca. 3 cm (Moor) bzw. 5 cm (Fango) Peloidschichtdicke aus, um – bei guten Wärmeisolationsbedingungen – eine mindestens 15-minütige Applikationsdauer ohne merkliches Absinken der Kontakttemperatur an der Haut zu gewährleisten und dabei konduktiv Wärme zu übertragen. Die grundlegende therapeutische Vorstellung besteht dabei darin, dass es der kranke menschliche Körper aus eigener Kraft bzw. Steuerfähigkeit nicht schafft, lokal etwa ein Gelenk oder systemisch den Körperkern so zu temperieren, dass temperaturabhängige Stoffwechselvorgänge oder Durchblutungsverhältnisse im positiven Sinne beeinflusst werden. So fällt die Möglichkeit zur Erzeugung metabolischer Wärme durch Muskelarbeit gerade bei älteren Patienten häufig aus (Kreislaufinsuffizienz, Beweglichkeitseinschränkungen). Statt dessen führt man – als Immediateffekt – von außen Wärme zu und substituiert damit ein körpereigenes Leistungsdefizit; sekundär – als Serieneffekt – „lernt“ der Körper, plötzliche lokale Überwärmungen durch adäquate Durchblutungssteigerung schneller zu kompensieren und damit insgesamt die Durchblutungssteuerung zu verbessern.
Zu den therapeutisch genutzten Wirkungsmechanismen gehören:
- lokale und (bei Ganzpackungen) systemische Gewebeerwärmung mit der so genannten Nachwärme (Retard-Wirkung)
zur Muskeltonus-Senkung,
zur Spasmolyse sowie
zur allgemeinen Entspannung
- lokale und systemische Mehrdurchblutung
mit Anregung des Immunsystems sowie
mit gefördertem An- und Ab-Transport von Stoffwechselprodukten
- reflektorische segmentale Wirkungen auf innere Organe, ausgehend von sensorischen
taktilen und
thermischen Reizen an den therapierten Hautstellen.
Unter balneogynäkologischen Gesichtspunkten wird therapeutisch genutzt, dass die den zyklische Verlauf der Basaltemperatur – mit niedrigeren Werten in der Follikelphase und mit Temperaturanstieg nach der Ovulation – steuernde endokrine Regulation eng mit der Thermoregulation gekoppelt ist. Durch systemische Überwärmung, insbesondere im Moorvollbad, kann man so auf das Zentrum der endokrinen Regulation im Hypothalamus einwirken. Auf diesem Wege lassen sich endokrine Dysregulationen normalisieren und die Oestrogenbiosynthese im Ovar4) stimulieren.
Physikalisch wird Wärme immer auf kürzeren oder längeren Wärmetransportwegen zwischen zwei Gewebegebieten mit unterschiedlicher Temperatur transportiert. Für den Wärmetransport wird Zeit benötigt. So nimmt z. B. im Verlaufe einer Nacht im gut isolierten Federbett durch den Wärmestau nicht nur die Haut etwa Körperkerntemperatur an, sondern – schon aus physikalischen Gründen – auch das dazwischenliegende Muskelgewebe und die Gelenke.
Schneller als im Federbett erfolgt – bei unveränderten Gewebe-Wärmeübergangskennzahlen – ein Wärmetransport bei einem größeren Temperaturgradienten, d. h.
- entweder wird die Temperaturdifferenz größer (auch bei Heizkissen, Wärmflaschen),
- oder die Wege werden kleiner.
Letzteres ist – zumindest lokal – dadurch zu bewirken,dass beispielsweise in Knochennähe mit Ultraschall- Applikation (physikalisch gesprochen) Wärmequellen erzeugt werden; mit Diathermie kann man in schlecht durchblutetem Gewebe wie Gelenken (Kondensator-Feld-Methode) oder in gut durchblutetem Gewebe wie Muskeln (Spulenfeld-Methode) Wärmeenergie bereits in der Nähe des Zielortes deponieren.
Diese Verfahren erfordern allerdings weit mehr Durchführungs- und Überwachungsaufwand als Peloidpackungen und sind außerdem zuweilen aus forensischen Gründen z. B. bei Herzschrittmachern oder Metallimplantaten kontraindiziert.
Peloidpackungen sind demgegenüber universeller einsetzbar und schließen bewusst den Hautkontakt mit natürlichen Materialien ein, die – in quantitativ allerdings vernachlässigbarer Menge – Inhaltsstoffe percutan abgeben und – vor allem mit umgekehrter Transportrichtung – aufnahmefähig sind für Schweiß und andere vom Körper eluierte Substanzen unter Beibehaltung5) der thermophysikalischen Kontaktbedingungen.
Das physikalisch einfachste Verfahren zur Erzielung eines hohen Wärmeeinstroms, nämlich das Erhöhen der Kontakttemperatur, stößt relativ schnell an die physiologische Grenze der Schmerzempfindung. Danach ist es ohnehin – zumindest für Nicht-Japaner – zunächst erstaunlich, daß der Körper bei einer Schmerzgrenze von ca. 42 °C Hauttemperatur die Anlage einer 50 °C heißen Moorpackung oder einer 45 °C heißen Fango-Packung zu tolerieren scheint. Der Grund ist bei den gleichen physikalischen Wärmeübergangsbedingungen zu suchen, die es uns erlauben, in der Sauna auf 90 °C heißen Holzlatten zu sitzen, aber keinesfalls die 90 °C heißen Metallumrandungen des Thermohygrometers zu berühren: je nach Wärmeleit- und Wärmespeicherungsfähigkeit (-> Wärmeeindringzahl) kann ein Medium seine an der Berührfläche entzogene Wärmeenergie schneller „nachliefern“ oder langsamer, und die Kontakttemperatur an der Hautoberfläche wird damit mehr oder weniger stark in Richtung der Applikationstemperatur erhöht.
Weil Körpergewebe und Moor in etwa gleiche Wärmeeindringzahlenhaben, stellt sich eine mittlere Kontakttemperatur von ca. 40 °C zwischen anfänglicher Moor- (z. B. 50 °C) und Haut- (z. B. 30 °C) Temperatur ein und erklärt somit die scheinbare physiologische „Temperaturverträglichkeit“ von Moor.
Fango hat vergleichsweise eine höhere Wärmeeindringzahl6). An der Haut stellt sich daher eine höhere Kontakttemperatur ein und Fango wird dementsprechend als heißer empfunden. Zur Vermeidung von Schmerzempfindungen muss deshalb seine Applikationstemperatur herabgesetzt werden (ca. 45 °C).
Letztlich wird also der Temperaturgradient an der Haut so „manipuliert“ (Wärmehaltung), dass ein längerdauernder Wärmetransport ins tiefergelegene Ziel-Gewebe möglich wird. Aus diesem Grund gehören Peloid-Packungen nicht nur in
- den auf Moor spezialisierten Moorheilbädern,
- den Lehm einsetzenden FELKE-Kurorten
- den Schlick und/oder
- Kreide verwendenden Seeheilbädern
zum unverzichtbaren Therapiespektrum praktisch aller ca. 350 Heilbäder und (höherprädikatisierten) Kurorte in Deutschland.